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Werden und Vergehen

Eine Anthologie von Rilkes Gedichten über „Jahreszeiten“

Von: STEFANIE HARDICK - © Die Berliner Literaturkritik, 23.06.05

 

Im Rückblick wird man wohl kaum sagen, dass dieser Sommer „sehr groß“ war. Allein die Hoffnung bleibt auf noch ein, zwei „südlichere Tage“. Wehmütig wird, wer in dem kleinen, von Vera Hauschild herausgegebenen Bändchen „Jahreszeiten“ mit Gedichten von Rainer Maria Rilke auf die Reise geht durch den Verlauf des Jahres und des Lebens. Doch vielleicht ist ein verregneter Sommer wie dieser geeignet, dem Wechselspiel von Natur und menschlicher Psyche nachzusinnen und einen der wenigen „vollen“ Sommerabende umso intensiver auszukosten.

Rilke war von einer Verbindung zwischen den Dingen, der Natur, dem Tier, den Pflanzen und dem sie betrachtenden, dichtenden, lesenden Subjekt überzeugt. Sein Staunen und bewunderndes Rühmen ist darum nicht nur Lobpreisung der uns umgebenden Natur, sondern sagt genauso viel über den Schreiber der Zeilen und ihre Leser aus. Eine Verbindung, die so kosmisch sei wie der Verlauf der Jahreszeiten.

Hoffnung und Angst

Das Werden und Vergehen der Natur wirft den Menschen zurück auf seine eigene Herkunft und Vergangenheit, auf seine Hoffnung und seine Angst. Denn so besinnlich die hier versammelten Texte daherkommen, so tief war Rilke, der 1875 in Prag geboren wurde, vom Erlebnis des Krieges und von der Daseinsangst seiner Generation geprägt. Die Vergänglichkeit vor Augen, mag seine Beschäftigung mit der ewigen Natur ebenso Bewältigung dieser Gefühle wie eine Flucht vor ihnen gewesen sein. In einem Brief an Clara Rilke schrieb der Dichter 1907: „wir haben im Grunde nur dazusein... wie die Erde da ist, den Jahreszeiten zustimmend.“

Vera Hauschild versammelt für „Jahreszeiten“ kurze Ausschnitte aus Rilkes Prosatexten, den „Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ und „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“, Teile aus Briefen des Dichters, kurze Gedichte sowie Ausschnitte aus den balladenartigen Stücken Rilkes. Leider sind nur die gekürzten Texte mit Titel und Entstehungszeit gekennzeichnet, sodass dem Leser, der sich mit Rilkes Werk (noch) nicht intensiver beschäftigt hat, das Vergnügen geraubt wird, anhand der anderen Gedichte den Lebens- und Schaffensweg des Dichters nachzuzeichnen. So stehen Gedichte aus dem Frühwerk, die aus heutiger Sicht gerade so die Grenze zum Kitsch einhalten, neben den großartigen „Neuen Gedichten“ Rilkes.

Düfte, Lichter, Stimmungen

Ob gewollt oder nicht: Der Nebeneffekt dieser Edition ist, dass der Leser nicht mehr versucht, die Gedichte einzuordnen, sie rational zu verstehen, sondern sich vielmehr zurücklehnt und sich überraschen lässt von immer neuen Eindrücken, Düften, Lichtern, die da auf ihn wirken. Ab und an könnte er sich dabei beinahe wie Rilke als „Bruder aller Dinge“ fühlen. Der seiner Natur entfremdete Stadtbewohner mag in diesem Jahr vielleicht über folgende Zeilen schmunzeln: „Will dir den Frühling zeigen,/ der hundert Wunder hat./ Der Frühling ist waldeigen/ und kommt nicht in die Stadt./ Nur die weit aus den kalten/ Gassen zu zweien gehen/ und sich bei den Händen halten -/ dürfen ihn einmal sehen.“

Rilke beschreibt all die Dinge, die in ihrer Gesamtheit das Gefühl eines Herbsttages, eines Winterabends ausmachen. Wie sein Protagonist Malte richtet er den „Scheinwerfer seines Herzens“ auf welke Friedhofsblumen ebenso wie auf prächtige Rosen, deren Duft „wie Ruhm in der Luft liegt“. In diesen Beschreibungen schwingen jahrtausendealte Bräuche mit, aber auch der flüchtige Eindruck, die Assoziation, die ein Bangen oder eine Freude hervorrufen mag. „Alle Dinge sind ja dazu da, damit sie uns Bilder werden in irgendeinem Sinn. Und sie leiden nicht dadurch, denn während sie uns immer klarer aussprechen, senkt unsere Seele sich in demselben Maße über sie.“

Rilke bemühte sich zeit seines Lebens, dem inneren Wesen dieser Dinge näher zu kommen, um über sie Teil zu werden an dem großen Ganzen, es dabei zugleich zu schaffen: „Kunst heißt, nicht wissen, daß die Welt schon ist, und eine machen. Nicht zerstören, was man vorfindet, sondern einfach nichts Fertiges finden. Lauter Möglichkeiten. Lauter Wünsche. Und plötzlich Erfüllung sein, Sommer sein, Sonne haben. Ohne daß man darüber spricht, unwillkürlich. Niemals vollenden. Niemals den siebenten Tag haben. Niemals sehen, daß alles gut ist.“

Literaturangaben:
RILKE, RAINER MARIA: Jahreszeiten. Gedichte und Gedanken. Ausgewählt von Vera Hauschild. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2005. 127 S., 6,50 Euro.

Stefanie Hardick arbeitet als freie Journalistin in München und Berlin für dieses Literatur-Magazin


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