Von Simone Humml
KÖLN (BLK) – In einer Umfrage des Umweltministeriums sprachen sich 87 Prozent der Deutschen für „einen konsequenten Umstieg auf erneuerbare Energien“ aus. Aber nur fünf Prozent beziehen nach eigenen Angaben Ökostrom. Dabei erfordere der Wechsel zu einem Ökostrom-Anbieter gerade einmal wenige Minuten Zeit zum Ausfüllen eines Formulars, schreiben Toralf Staud und Nick Reimer in ihrem Buch „Wir Klimaretter“. Sie zeigen darin, wie einfach es wäre, den Ausstoß der Treibhausgase in Deutschland bis 2020 auf die Hälfte desjenigen von 1990 zu senken – und zwar mit Techniken, die es bereits gibt.
Warum es dennoch so schwer ist, Klimaschutz durchzusetzen, erklären die Autoren mit Hilfe des Harvard-Psychologe Daniel Gilbert: Das Hirn wurde in der Evolution nicht dazu entwickelt, so weit in die Zukunft zu denken. „Die Erderwärmung ist eine tödliche Bedrohung, weil sie im menschlichen Gehirn keinen Alarm auslöst. Sie lässt uns ruhig schlafen, obwohl unser Bett längst in Flammen steht.“
Es sei ein Umdenken bei jedem Einzelnen nötig aber auch in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, schreiben Staud, langjähriger „Zeit“-Redakteur, und Reimer, Energieverfahrenstechniker und „taz“-Wirtschaftsredakteur. Derzeit verursache jeder Deutsche mehr als zehn Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Bis 2050 müssten es weniger als zwei Tonnen sein, „wenn wir die Erwärmung der Atmosphäre auf wenigstens zwei Grad begrenzen wollen“ und die Menschen in Entwicklungsländern genauso viel Kohlendioxid ausstoßen dürften wie diejenigen in den Industriestaaten.
Das Buch steckt voller konkreter Beispiele und Visionen: Eine Möglichkeit wäre ein Kohlendioxidkonto für jeden Bürger mit 4000 Kilogramm Kohlendioxidausstoß pro Jahr. Wer mehr ausstoßen möchte, müsste sich entsprechende Zertifikate kaufen – eine Idee des Briten David Fleming. Ein Hartz-IV-Empfänger ohne Auto und Urlaubsflug könnte das Geld erhalten. Abzurechnen seien die Kohlendioxidpunkte einfach, beispielsweise mit einer Chipkarte beim Tanken.
Technisch setzen die Autoren unter anderem auf Parabolrinnenkraftwerke. Dabei bündeln gekrümmte Spiegel Sonnenlicht auf ein Rohr mit Öl, das sich auf 400 Grad aufheizt. Damit wird Wasser zum Sieden gebracht, das über eine Turbine Strom erzeugt. Das sei effektiver als Solarzellen.
Stein und Reimer rechnen auch die Kosten des Stand-By-Betriebes vor: Bei einem Fernseher kommen sie auf 7 Euro pro Jahr, bei einem Computer nebst Monitor und Drucker auf 24 Euro. Im Verkehrssektor setzen die Autoren auf moderne Autos, keinesfalls auf Biosprit: Sie erwähnen die Loremo AG, die von 2009 an das 1,5 Liter Auto in Serie produzieren will. Der nur 450 Kilogramm leichte Sportwagen komme mit 20 PS auf Tempo 160. Die Klimafreundlichkeit von Biosprit werde dagegen weit überschätzt. Oft würden 80 Prozent der gewonnen Energie vorher in fossiler Energie eingesetzt – beim Herstellen von Dünger und Pflanzenschutzmittel beispielsweise.
Auch der hohe Fleischkonsum trage zum Klimawandel bei. Am Menschen gemachten Treibhauseffekt habe die globale Viehbranche einen Anteil von 18 Prozent – vor allem in Form des Treibhausgases Methan aus Kuhmägen. Das sei mehr als der gesamte Transportsektor. Nach China, den USA und Brasilien sei Deutschland der viertgrößte Fleischproduzent der Welt. Der Pro-Kopf-Verzehr habe sich in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren mehr als verdoppelt.
Viele Kapitel klingen zunächst trivial, etwa Kohlenstoff einen Preis geben, Kohlekraftwerke verbieten oder sparsame Autos fahren. Dahinter stecken aber stets überraschend viele interessante Details, die auf dem neusten Stand der Diskussion sind. Insgesamt ist es eine hervorragende Zusammenfassung aller möglichen Aktionen zum Klimaschutz. Weitere Informationen und Diskussionsforen gibt es unter www.wir-klimaretter.de.
Literaturangaben:
REIMER, NICK / STAUD, TORALF: Wir Klimaretter – So ist die Wende noch zu schaffen. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 250 S., 8,95 €.
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