Werbung

Werbung

Werbung

„Science-in-Fiction“

„Phallstricke/Tabus“, zwei Theaterstücke aus der Feder Carl Djerassis

© Die Berliner Literaturkritik, 01.03.06

 

INNSBRUCK (BLK) – Eigentlich ist Carl Djerassi Chemiker, der „Vater der Antibabypille“, doch seit einiger Zeit ist er auch als Autor erfolgreich. Seine wissenschaftliche Arbeit fließt allerdings in die Werke mit ein.

„Phallstricke“ und „Tabus“ machen da keine Ausnahme. Diese zwei Theaterstücke, behandeln die Djerassi am Herzen liegenden Themen Wissenschaft und Kunst.
„Phallstricke“ dreht sich um die „kunsthistorische Kontroverse“ um eine Bronzestatue, den „Jüngling von Magdalensberg“. Jahrhundertelang dachte man diese Statue sei ein Original aus dem antiken Rom, bis sich herausstellte, dass diese Figur in der Renaissance-Zeit gegossen wurde.
„Tabus“ handelt vom „Sexualverhalten im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“, der Trennung von Sex und Fortpflanzung. Während Kinder unter dem Mikroskop hergestellt werden, wird Sex in dem Theaterstück nur zum Spaß und zum Zeichen gegenseitiger Zuneigung betrieben.

Prof. Dr. Carl Djerassi wurde als Sohn eines österreichisch-bulgarischen Ärzte-Ehepaares 1923 in Wien geboren. 1938 floh er vor den Nazis nach Amerika und studierte dort Chemie. Später machte er sich nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als Kunstförderer und –sammler einen Namen. Als Wissenschaftler brachte Djerassi es auf rund 1200 Veröffentlichungen. Seit Mitte der 80er Jahre begann er auch Gedichte und Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Bis heute hat er der Welt aber auch zahlreiche autobiografische Publikationen, Romane und Theaterstücke beschert. Zudem ist er der Erfinder der neuen Romangattung „Science-in-Fiction“, worunter u.a. die Werke „Cantors Dilemma“, „Das Bourbaki Gambit“, Menachems Same“ und „No“ fallen. Weitere Veröffentlichungen sind „Kalkül/Unbefleckt. Zwei Theaterstücke aus der Welt der Wissenschaft“, „EGO. Roman und Theaterstück“ und „Aufgedeckte Geheimnisse. Zwei Romane aus der Welt der Wissenschaft“. Zurzeit lebt er in Kalifornien und plant eine Kammeroper mit wissenschaftlichem Hintergrund. (gar/lau)

 

© Haymon Verlag, 2006

Phallstricke/Prolog
Gegenwart. Regina Leitner-Opfermann, Leiterin der Antikensammlung des Museums, kommt zum Schluss eines Vortrags vor Gymnasiasten. Sie steht auf einem Podium, hinter ihr eine Leinwand.
REGINA: (in freundlichem und lebhaftem Ton) Abschließend möchte ich die entscheidenden Punkte meines Vortrags zusammenfassen. Vielleicht wollt ihr euch Notizen machen… für den Fall, dass euer Lehrer so gemein ist, euch eine Klassenarbeit darüber schreiben zu lassen. Und während des anschließenden Rundgangs durch unsere Antikensammlung dürft ihr gerne Fragen stellen.
Auf der Leinwand erscheint das Bild einer Bronzestatue, eines nackten Jünglings.
Das ist das bedeutendste Stück in unserer Antikensammlung: eine echte römische Statue aus dem zweiten Jahrhundert, die hier in Österreich entdeckt wurde.
Punkt 1. Warum liegt der Fokus eines Vortrags über antike Plastiken auf Bronze? Bestimmt hat euch euer Chemielehrer gesagt, dass Bronze eine Legierung ist, die durch Zusammenschmelzen von Kupfer und Zinn in unterschiedlichem Verhältnis entsteht. Vielleicht hat er euch auch gesagt, dass sich Bronze leicht schmelzen und leicht bearbeiten lässt. Und dass sie nicht rostet, sehr widerstandsfähig ist und eine glatte, glänzende Oberflächenbeschaffenheit annimmt. Vielleicht hat er euch sogar gesagt, dass sie außerdem Spurenelemente enthält, aber offen gestanden (Bedenkt ihr Publikum mit einem leicht verschwörerischen Lächeln.), wen interessiert das schon? Das ist alles ziemlich langweilig, wenn man nicht erkennt, was für sagenhaft schöne Dinge sich aus diesem Material anfertigen lassen. Und das werdet ihr wohl kaum im Chemieunterricht lernen.
Damit komme ich zu Punkt 2. Während der Bronzeguss seit mindestens 6000 Jahren bekannt ist und in Griechenland, Ägypten, Rom und im Vorderen Orient Anwendung fand, waren die frühesten Bronzearbeiten nicht hohl, sondern massiv. Erst 2000 Jahre später lernten die Handwerker die Kunst des Hohlgusses, der es ermöglichte, größere Statuen wie die hinter mir zu schaffen (Deutet kurz auf die Leinwand.). Im sechsten Jahrhundert vor Christus brachten die Griechen den Bronzeguss zu einer Vollendung, die nie zuvor erreicht worden war.
Punkt 3. Ich habe euch nicht mit einer Menge griechischer Namen bombardiert… aber ich möchte, dass ihr euch zwei der wichtigsten merkt, (langsam und mit Nachdruck) nämlich Polyklet aus Argos… der hauptsächlich mit Bronze arbeitete… und Praxiteles aus Athen, dessen berühmteste Werke aus Marmor waren. Ich habe euch bereits Dias davon gezeigt und ihr werdet sie später in der Sammlung sehen.
Punkt 4. Im Mittelalter herrschte ein akuter Mangel an geeignetem Metall für Waffen, was tragischerweise dazu führte, dass die meisten griechischen Bronzeplastiken eingeschmolzen wurden. Die, die ihr noch in Museen seht, haben hauptsächlich deshalb überlebt, weil sie auf See verloren gingen und Jahrhunderte später zufällig entdeckt wurden… oder vergraben worden waren… eine Tatsache, die entscheidend ist für das, was ihr gleich auf dem Rundgang sehen werdet.
Damit komme ich zum abschließenden Punkt 5, nämlich den Römern. Ihr Sinn für Kunst begann mit der Eroberung griechischer Städte und der Plünderung Tausender der bedeutendsten griechischen Skulpturen. In den zwei Jahrhunderten vor und nach Augustus ließen sich viele griechische Bildhauer in Rom nieder, der einzigen Stadt, deren Wohlstand ihnen Gelegenheit bot, ihre Kunst auszuüben. Das Verlangen der wohlhabenden Römer, zu sammeln und zu horten, war offenbar unersättlich und so wurden, als der Vorrat an Originalen erschöpft war, Kopien angefertigt. Auch wenn somit die meisten wertvollen Originale unwiederbringlich verloren sind, so wurden doch ihre Abbilder in römischen Kopien bewahrt.
Dieser Jüngling (Deutet auf das Bild hinter ihr.) ist eine der schönsten und am besten erhaltenen römischen Bronzen und wurde vor 500 Jahren entdeckt… nicht in Italien… sondern hier in Österreich. Und jetzt… werden wir diesem Kronjuwel unserer Antikensammlung einen Besuch abstatten.
Regina will das Podium verlassen, als eine Stimme aus dem Publikum sie innehalten lässt.
SCHÜLERSTIMME: (aus dem Publikum) Entschuldigen Sie. Eine Frage.
REGINA: (leicht ungehalten) Ich sagte doch, dass ich Fragen während des Rundgangs beantworten werde. (Pause) Na schön. Aber nur eine.
SCHÜLERSTIMME: (aus dem Publikum) Wenn die Statue bloß eine Kopie eines griechischen Originals ist…
REGINA: (Fällt ihm scharf ins Wort.) Wir wissen nicht, ob sie, wie du sagst, bloß eine Kopie ist… Wir sind der Meinung, dass es sich um ein römisches Original handelt, das um das Jahr 200 nach Christus entstand und von der griechischen Ästhetik der Schule des Polyklet beeinflusst ist.
SCHÜLERSTIMME: (aus dem Publikum) Aber woher wissen Sie, dass es ein römisches Original ist?
REGINA: (in aggressivem Ton) Junger Mann, über dieses Thema habe ich ein ganzes Buch geschrieben. Und wenn du nach dem Rundgang zu mir kommst, werde ich dir gerne ein Exemplar leihen, falls du dann noch mehr wissen willst. (Wendet sich zum Gehen, hält aber nochmals inne.) Aber angenommen, es wäre bloß eine Kopie. Was dann? Unsere Statue hätte nicht ein Jota ihrer hinreißenden Schönheit eingebüßt. Wenn sie ein römischer Nachguss eines griechischen Originals wäre, so wäre sie das exakte Abbild des Originals… und folglich genauso schön. Im Übrigen autorisieren fast alle modernen Bildhauer mehrere Abgüsse einer von ihnen geschaffenen Bronzeplastik. Zwischen dem Preis für den ersten Abguss und dem für den fünften besteht kein Unterschied, weil alle praktisch zur gleichen Zeit unter Aufsicht des Künstlers angefertigt wurden. Auf dem Kunstmarkt haben diese Repliken den Rang von Originalen, da sie als zeitgleich und folglich als gleichwertig gelten. Warum sollte das bei unserem Jüngling hier anders sein?
SCHÜLERSTIMME: (aus dem Publikum) Aber eine römische Kopie eines griechischen Originals ist doch nicht zeitgleich…
REGINA: (nun wirklich gereizt) Genug! Wir sind spät dran mit dem Rundgang. Lies mein Buch. Wenn du danach noch Fragen hast, kannst du in mein Büro kommen.
Verlässt das Podium. Emma vertritt ihr den Weg.
EMMA: Frau Dr. Leitner…
REGINA: Leitner-Opfermann.
EMMA: Verzeihung.
REGINA: Nun?
EMMA: Ich bin Emma Finger… Renaissance-Abteilung… Wir sind uns schon begegnet…
REGINA: Ja.
EMMA: Ja. Ich wollte mich nur vorstellen… weil wir doch jetzt zusammenarbeiten werden.
REGINA: (erstaunt) Ach ja? Bei was?
EMMA: Haben Sie den Bericht nicht gelesen?
REGINA: Welchen Bericht?
EMMA: Den von Professor Stolzfuss.
REGINA: Ich kenne den Herrn nur flüchtig. Um was geht es hier eigentlich?
EMMA: Verzeihung, ich dachte, der Museumsdirektor hätte Sie bereits informiert.
REGINA: Nun, das hat er nicht und ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich habe eine Führung zu machen.
Regina ab.

© Haymon Verlag, 2006

Literaturangaben:
DJERASSI, CARL: Phallstricke. Tabus. Zwei Theaterstücke aus den Welten der Naturwissenschaft und Kunst. Aus dem Englischen von Ursula-Maria Mössner. Haymon Verlag, Innsbruck 2006. 197 S., 17,90 €.

Weblink


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: