Aber wenn es hier nur um
feministische Erbsenzählung ginge, wäre nicht viel
mehr zu sagen als dass die linguistische Argumentation auf
einer fraglichen Logik aufbaut, denn eine Silbe aus zwei
Buchstaben lässt sich natürlich öfter finden
als eine aus drei. Wie gesagt, der Titel führt in die
Irre, der Untertitel ist da schon klarer: Seh-Texte,
konkrete Poesie. Und neben diesem Bezug auf Franz Mon gibt
es später auch eine Verbeugung vor Ernst Jandl.
Was an diesem Beitrag
fasziniert, ist die Fortführung der konkrete Poesie im
Zeichen ihrer digitalen Möglichkeiten. Dies geschieht
mittels eines professionell programmierten Zusammenspiels
zwischen Text, Bild, Sound und Animation, wobei die beiden
Rezitatoren Anne Moll und Ulli Pleßmann sehr zum
Gelingen der Sache beitragen. Der Einfallsreichtum der
beiden Autorinnen ist groß und in der Ausführung
nicht ohne Ironie. Dies zeigt das Beispiel
Wörterkolonnen, wo die ER-Wörter und
SIE-Wörter Stück für Stück auf zwei
Haufen fallen und dabei PapiER und FedER
langsam herunter schweben, der SchmettERling noch
etwa hin und her flattert und die JalouSIE kurz
Glocken erklingen lässt, was auch sagt, dass die
Jalousie zur Zeit hochgezogen ist, denn das Geschäft
ist geöffnet und jemand hat es gerade betreten. Oder
man nehme die Darstellung des Wortes ERbaung, das die
erste Silbe wie einen Klotz hinwirft - den nichts mehr
bewegen kann, so hart hört sich der Wurf an -, um dann,
Stück für Stück, in die Höhe zu bauen.
Wenn Erté Buchstaben
malt und dadurch ihnen eine Bedeutung vor ihrer Bedeutung
gibt, so werden hier Wörter im Sinne ihrer Bedeutung
dargestellt: das Wort Siechen schwindet dahin, das
Wort Stotterer stottert und immer
weiter rennt endlos über den Bildschirm. Die
Kinetisierung konkrete Poesie.
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