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Wettbewerb Literatur.digital 2001
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Linguistische Seh-Texte

ER/SIE

Text und Konzeption:

Ursula Menzer

Animation, Sound, Gestaltung:

Sabine Orth



Die Losung mag in die falsche Richtung führen, obwohl es freilich auch darum geht: Wieviele ERs, wieviele SIEs lassen sich in deutschen Wörtern finden. Die deutschen Sprache, man ahnte es, ist männlich dominiert: Da fallen viel mehr Wörter auf dem ER-Haufen nieder als auf dem für SIE.

Aber wenn es hier nur um feministische Erbsenzählung ginge, wäre nicht viel mehr zu sagen als dass die linguistische Argumentation auf einer fraglichen Logik aufbaut, denn eine Silbe aus zwei Buchstaben lässt sich natürlich öfter finden als eine aus drei. Wie gesagt, der Titel führt in die Irre, der Untertitel ist da schon klarer: Seh-Texte, konkrete Poesie. Und neben diesem Bezug auf Franz Mon gibt es später auch eine Verbeugung vor Ernst Jandl.

Was an diesem Beitrag fasziniert, ist die Fortführung der konkrete Poesie im Zeichen ihrer digitalen Möglichkeiten. Dies geschieht mittels eines professionell programmierten Zusammenspiels zwischen Text, Bild, Sound und Animation, wobei die beiden Rezitatoren Anne Moll und Ulli Pleßmann sehr zum Gelingen der Sache beitragen.

Der Einfallsreichtum der beiden Autorinnen ist groß und in der Ausführung nicht ohne Ironie. Dies zeigt das Beispiel Wörterkolonnen, wo die ER-Wörter und SIE-Wörter Stück für Stück auf zwei Haufen fallen und dabei PapiER und FedER langsam herunter schweben, der SchmettERling noch etwa hin und her flattert und die JalouSIE kurz Glocken erklingen lässt, was auch sagt, dass die Jalousie zur Zeit hochgezogen ist, denn das Geschäft ist geöffnet und jemand hat es gerade betreten. Oder man nehme die Darstellung des Wortes ERbaung, das die erste Silbe wie einen Klotz hinwirft - den nichts mehr bewegen kann, so hart hört sich der Wurf an -, um dann, Stück für Stück, in die Höhe zu bauen.

Wenn Erté Buchstaben malt und dadurch ihnen eine Bedeutung vor ihrer Bedeutung gibt, so werden hier Wörter im Sinne ihrer Bedeutung dargestellt: das Wort Siechen schwindet dahin, das Wort Stotterer stottert und immer weiter rennt endlos über den Bildschirm. Die Kinetisierung konkrete Poesie.

Interview mit Ursula Menzer

 

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