Kitsch und Subjekt

Die üblichen Ansätze, die "Echtheit" bzw. "existentiale Ursprünglichkeit" der dichterischen Mitteilung der "Verlogenheit" des Kitsches gegenüberzustellen, sind problematisch, weil beide Aspekte nicht objektivierbar sind. Die Darstellung eines Phänomens wird natürlich entsprechend dem Bewusstsein des Rezipienten als "echt" oder "verlogen" empfunden, wodurch "das weniger differenzierte und informierte Bewußtsein auch das abgegriffenste und zerredetste Klischee als 'echtgeschöpfte Realitätsvokabel' und damit als ursprünglich schön und unmittelbar wertvoll erleben" kann.(1)

Wann der Tatbestand eines unangemessenen Einsatzes des ästhetischen Materials, eines zu aufdringlichen Reims, einer zu simplen und naiven Wendung vorliegt, ist jeweils eine Frage der Wahrnehmung und resultiert aus der ästhetischen und intellektuellen Kompetenz des Rezipienten und seiner Vertrautheit mit stilistischen Motiven.

Kitsch ist ein Phänomen, das nur in der Rezeption und nur für den Rezipienten besteht. Schulte-Sasses Vorstoß einer diachronen Relativierung der Bestimmung von Kitsch bzw. Trivialität, muss durch eine synchrone ergänzt werden: ästhetische Normen sind nicht nur in Abhängigkeit von "historisch gewachsenen kommunikativen Bezugssystemen" zu begreifen (S.74), sondern in Abhängigkeit vom spezifischen Kommunikationssystem, in dem ein Individuum sich befindet..


(1) Jochen Schulte-Sasse, "Literarische Wertung", Stuttgart 1971, S. 47, mit Bezug auf Wilhelm Emrich, "Zum Problem der literarischen Wertung", in: Akademie der Wissenschaften und Literatur. Abhandlungen der Klasse der Literatur, Jahrgang 1961, Wiesbaden 1961, S. 37-51.