Hans Platzgumer (*1969) ist Schriftsteller, Komponist, Musiker und Produzent. Insgesamt hat er sich der Interdisziplinarität, in den letzten Jahren vermehrt der Literatur verschrieben. Markus Köhle hat ihn per Mail in diversen Zügen erwischt. Hans Platzgumer ist immer in Bewegung.
DUM: Dein aktueller Roman "Am Rand" (Zsolnay 2016, siehe Besprechung in DUM # 77) beginnt mit den Wandervorbereitungen des Protagonisten. Es ist grad Mitte Juli, an sich perfekte Wanderzeit. Kommst du selbst gerade dazu oder bist du den Sommer über anderweitig eingedeckt?
Ich habe diesen Sommer zu tun und keine Urlaubszeit. Eine eher aufwändige Produktion am Nationaltheater Mannheim und verstreute Lesungen halten mich beschäftigt, auch bin ich ja schon weit in der Arbeit an einem neuen Roman fortgeschritten, der mich sehr einnimmt. Bergwanderungen kann man zwischendurch natürlich immer machen, aber im Hochsommer wie jetzt gehe ich eigentlich nie ins Hochgebirge. Ab der Baumgrenze ist es zu heiß, überhaupt sind zu viele Touristen unterwegs. Ich suche mir zurzeit versteckte Waldwege. Die Berge sind am besten, wenn's bewölkt ist und kühl, aber noch wenig Schnee liegt. Übrigens ist ja das Interessante an der Klimaverschiebung, dass wir keine klaren Jahreszeiten mehr haben. Ein paar Wochen lang viel zu heiß, ein paar viel zu kalt, das spielt sich das ganze Jahr über, vor allem in diesem Jahr des Affen, in dem man sowieso ständig auf alle Überraschungen gefasst sein sollte. Das gute an der Turbulenz: Es wird nicht langweilig.
DUM: Klimaverschiebung wäre ein schönes DUM-Thema, danke. Aber zu Mannheim und deinem Roman im Entstehen. Wie bist du dort involviert und um was geht es in deinem neuen Roman?
Ich komponiere und produziere gerade die Musik zur deutschsprachigen Erstaufführung von Simon Stephens' "Birdland" am Nationaltheater, eine ziemlich aufwändige Produktion mit viel Video, Sounddesign, Songs, großem Ensemble etc. Das ist spannend und interessant, auch herausfordernd. Mein Herzblut aber steckt in erster Linie in dem neuen Roman, der sehr platzgumersch wieder verschiedene Außenseiterschicksale beleuchten wird. Diesmal haben sich die Protagonisten in Marseille herumzuschlagen. Es war schon lange ein Wunsch von mir, einen Roman in dieser Hafenstadt anzusiedeln, die ich seit den frühen 90er Jahren sehr gut kenne und als zweite Heimat bezeichnen kann. Nun habe ich die passende Story gefunden, und nach Montreal führt sie obendrein. Das Buch wird Ende 2017 oder Anfang 2018 erscheinen, wieder bei Zsolnay / Hanser. Wir freuen uns schon alle sehr darauf.
DUM: Heißt das, dass du "nur" die Proben überwachen musst, um zu schauen, ob sie eh alles in deinem Sinn machen oder bist du auch aktiv musizierend eingebunden? Und zweite Heimat Marseille - wie das? Ich dachte, das wäre zu dieser Zeit in New York gewesen. Und wenn wir schon dabei sind. Das Reisen und teils entlegene Orte spielen in vielen deiner Romane eine wichtige Rolle. Hast du eine Wunschheimat, eine Art Sehnsuchtsziel?
Ich bin als Theaterkomponist nie bei allen Proben dabei. Eine Kasernierung kann ich in meinem Alter nicht mehr durchstehen. Aber ich sehe in regelmäßigen Abständen dazu und kreiere vor Ort musikalische Entwürfe, probiere Verschiedenes oder probe mit den Sängern / Musikern. Hin und wieder spiele ich bei Inszenierungen auch selber live auf der Bühne, so etwa bei der letztjährigen Produktion "Blick von der Brücke", wo ich mit dutzenden Flüchtlingen einen Chor und eine Combo erstellt habe. Das war sehr bereichernd. Doch meist ist es ein zu großer zeitlicher und logistischer Aufwand, wenn ich auch noch als Bühnenmusiker auftreten muss.
Es stimmt, in New York hatte ich eine Zeit lang dieses starke heimatliche Gefühl. Das ist aber irgendwann verschwunden, und dieses noch pre-gentrifizierte New York gehört ja leider inzwischen längst der Vergangenheit an. Mit Marseille verhält es sich ein wenig ähnlich. Diese Stadt war so verrückt und kosmopolitisch und außergewöhnlich, dass ich mich in ihr jahrzehntelang sehr befreit fühlte. Doch dann kamen auch dort zuerst mit der Fußball-WM, dann mit der Kulturhauptstadt die touristischen Säuberungsaktionen, so dass Marseille in weiten Teilen seiner Seele beraubt wurde. Dennoch hält sich diese Stadt gewissermaßen, bzw. kippt allmählich auch wieder zurück in die schmuddeligen Zeiten. Nach wie vor bin ich regelmäßig und sehr gerne dort.
Es scheint mir ja in der ganzen Welt so zu sein, dass sich die Unorte mehren und die Städte sich angleichen. Ob man heute in London, Marseille, Barcelona oder Berlin durch die Straßen geht, macht kaum einen Unterschied mehr. Überall derselbe Kommerz, dieselben Fastfood-Stationen, dieselben unzufriedenen Gesichter und Touristenhorden, die einen Ort fotografieren, den es gar nicht mehr gibt.
Meine persönlichen Sehnsuchtsorte sind die vergessenen weißen Flecken zwischen diesem globalen Billigflieger-Streckennetz, das heute Menschenmassen wie Heuschreckenschwärme überall hinkarrt. Die glückseligen Orte, die durch dieses Netz durchfallen, werden immer weniger, aber es gibt sie noch. In Zaragoza etwa war ich kürzlich, da atmete ich richtig auf. Dort hatte ich das Gefühl, dass noch etwas bewahrt und nicht restlos ausverkauft worden ist.
Mein derzeitiger Sehnsuchtsort wäre eine abgeschiedene Gegend, in der ich doch nicht ganz aus der Welt bin. Ich kämpfe darum, etwas Abstand zu den Menschen zu bekommen, gleichzeitig brauche ich sie aber, als Schriftsteller reicht ja nicht nur die Einsamkeit allein als Inspiration. Ich habe ein Berghaus in Tirol. Das ist nicht schlecht. Aber auch dort bin ich mittlerweile umzingelt von deutschen Urlaubern.
DUM: Das heißt, um den Kopf frei zu kriegen, verziehst du dich auf dein Berghaus und verrichtest landwirtschaftliche Tätigkeiten? Hast du einen Freischneider oder schwingst du die Sense?
Ich schwinge die Sense, aber mehr recht als schlecht, und greif dann zum Rasenmäher, wenn es unbedingt sein muss. Wenn man keinen englischen Rasen will, reicht es da oben aber, zweimal im Jahr zu mähen. Zum Glück. Handwerklich bin ich eine echte Niete, kaum lebensfähig.
DUM: Das ist ja geradezu beruhigend, dass du nicht auch noch ein geheimer Handwerker bist. Zu HP als Bühnenmensch. Wie kommst du mit den Literaturbetriebslesungen (um nicht zu sagen Wasserglaslesungen) klar? Trennst du Musik und Literatur klar voneinander bzw. inwiefern beeinflusst Musik / Rhythmus dein Schreiben?
Ich mag Lesungen. Ich mach das gerne und geh auch gerne auf Lesungen. Solange sie nicht zu lange dauern und nicht allzu langweilig gestaltet sind, bekommt man darüber einen guten Eindruck von Werk und Autor. Hin und wieder aber vermiesen sie mir auch das Literaturerlebnis, so geschehen etwa kürzlich, als ich einen meiner Lieblingsautoren aus der Schweiz lesen hörte und mir in seinem Vortrag das Geschriebene viel weniger gefiel als wenn ich es selber las. Oft genug ist es auch umgekehrt, gerade humoristischer Stoff ist oft live viel lustiger als beim Selberlesen zuhause. Ich selbst rezitiere übrigens auf der Bühne hin und wieder manche Kapitel auswendig, das macht es für mich doppelt spannend.
Musik beeinflusst mein Schreiben keineswegs und ich trenne die Gattungen meist auch bei öffentlichen Auftritten voneinander. Nur manchmal, zu gegebenen Anlässen, mache ich selber Musik zu meinen Lesungen. Das ist dann etwas Besonderes und als solches reizvoll, aber ich empfinde es auch als Doppelbelastung.
Ich kenne Schriftstellerkollegen, die hören während dem Schreiben Musik. Ich weiß von einigen, die sogar Musik von mir als Soundkulisse verwenden, um in die richtige Schreibstimmung zu kommen. Das könnte ich nie, es lenkt mich viel zu sehr ab. Ich habe in letzter Zeit sogar angefangen, beim Schreiben Noise-Cancellation-Kopfhörer zu tragen, um mich komplett von der Außenwelt ausklinken und ganz in meine Schreibwelt eintauchen zu können.
Nichtsdestotrotz bin ich ja auch Musiker, und musikalisches Empfinden für Tempi, Dynamik oder Melodieführung fließt bei mir ganz automatisch im Schreibprozess ein, sobald ich schreibe. Das kann ich gar nicht verhindern.
DUM: Ich fasse in Bildern zusammen. HP schwingt die Sense am Berg, schreibt mit Noise-Cancellation-Kopfhörern in seiner Kammer und zugt voll Tatendrang in literarischer und musikalischer Mission durch die Lande. Was möchtest du dem noch hinzufügen?
Die Sense schwinge ich so selten, dass das Bild "HP wandert durch abgelegene Bergregionen" doch stimmiger wäre. Aber ja, ein so einfach zu beschreibendes Gemüt bin ich wohl. Lasst mich in Ruhe und lasst mich arbeiten; schon bin ich zufrieden. Dem gäbe es vieles und nichts hinzuzufügen.
DUM: Dann freuen wir uns auf weiterhin Vieles von dir und bedanken uns für Bisheriges und das Interview.
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