Ursprünglich hätten wir für Ende Juni wieder einen DUM-Besuch in Imst geplant gehabt. Aus bekannten Gründen haben wir den Plan frühzeitig schon verworfen. Einen Hauch Tiroler Oberland gibt es dennoch. Wolfgang Kühn hat die Wortraum-Autorin Angelika Polak-Pollhammer im virtuellen Raum zum Interview getroffen.
DUM: Du bist die erste Interview-Partnerin seit unser aller Leben von Corona dominiert wird. Viele Autorinnen und Autoren schreiben derzeit ihr eigenes Corona-Tagebuch. Ist das bei Dir auch der Fall bzw. findet Corona überhaupt in Dein literarisches Schaffen Eingang und wenn ja, wie?
Ja, auch ich schreibe ein Tagebuch, obwohl ich kein Tagebuchtyp bin. Aber es hilft mir am Abend meine Gedanken zu sortieren, meine Wut und Hilflosigkeit auf das Ganze loszuwerden. Dabei entsteht jedoch kein literarisches Meisterwerk, es ist nur für mich bestimmt. Und ein paar Corona Gedichte gibt es natürlich. Daran kommt man als denkender und schreibender Mensch derzeit wohl nicht vorbei.
DUM: Wie bist Du überhaupt zum Schreiben gekommen?
Ich habe Annemarie Regensburger 2009, oder war es 2010, erzählt, dass ich schon länger einfach nur für mich kurze Geschichten schreibe. Im stillen Kämmerchen. Sie hat mich dann eingeladen bei den Oberländer Diskursen in Fiss eine Schreibwerkstätte von Koch Maria und ihr zu besuchen. Dort an diesem Nachmittag habe ich das erste Mal Lyrik geschrieben. Seither kann nicht mehr aufhören. Und als ich meinen Dialekt auch zum Schreiben entdeckte, eröffnete das noch einmal ganz andere Möglichkeiten.
DUM: Du bist verheiratet, Mutter dreier Söhne und hast vermutlich auch darüber hinaus viel zu tun - das klingt nach wenig Zeit zum Schreiben. Wie schaffst Du es dennoch, Dir Zeit freizuschaufeln?
Oft schreibe ich dazwischen. Das heißt, wenn mir was zufällt, kritzle ich das auf ein Blatt Papier. Später, wenn mehr Zeit ist, beginne ich zu streichen, vertausche Zeilen, lass den Text liegen und schreibe ihn neu. Ist er fast fertig, kommt der Computer ins Spiel. Nach dem Abtippen drucke ich aus, lese laut, fang wieder von vorne an. Irgendwann bin ich zufrieden. Sehr oft hat das am Abend stattgefunden. Inzwischen sind meine Kinder schon älter und ich erlaube mir auch am Nachmittag zu schreiben. Zusätzlich habe ich einen Vormittag, an dem ich nicht im Büro arbeite. Den versuche ich auch zu nutzen. Leider gelingt das noch nicht so gut. Hin und wieder ist Anderes zu erledigen an diesen Schreibvormittagen. Aber daran arbeite ich.
DUM: 2014 hast Du gemeinsam mit Annemarie Regensburger das Buch "Ehe der letzte Schornstein fällt ... Südtiroler Familien und ihr fremdes Zuhause" veröffentlicht. Was steckt hinter dieser Publikation?
Als in Imst begonnen wurde die Südtiroler Siedlung abzureißen, kam Annemarie die Idee, die Geschichten der dortigen Bewohner und Bewohnerinnen festzuhalten. Ansonsten würden sie mit dem Abriss der Häuser verschwinden, so ihre Sorge. Sie lud mich ein bei dem Projekt mitzumachen. Insgesamt interviewten wir 32 Personen zur Option 1939. Sie sprachen über ihre Erlebnisse, Erfahrungen und ihrer Beweggründe bzw. jener ihrer Vorfahren zur Auswanderung aus Südtirol. 70 Stunden Tonbandprotokolle entstanden und daraus 21 Familiengeschichten. Es ist uns gelungen ein Stück Zeitgeschichte, welches sich nicht nur in Imst, wie letztes Jahr auch die Tiroler Volksschauspiele Telfs gezeigt haben, zugetragen hat, einzufangen, festzuhalten und für kommende Generationen niederzuschreiben. Dass auch noch junge Menschen daran interessiert sind, darf ich jedes Jahr bei Schullesungen zu diesem Thema erleben.
DUM: Apropos Annemarie Regensburger - sie ist ja Mitbegründerin des Vereins "Wortraum - Plattform für Oberländer AutorInnen" und war langjährige Obfrau. Mittlerweile hast Du den Verein übernommen - eine Aufgabe, die Dich bestimmt mit Stolz erfüllt. Hast Du bestimmte Pläne oder Ziele?
Anfangs war das kein leichter Schritt. Ich stehe nicht gerne an vorderster Stelle und musste darüber ein paar Wochen nachdenken. Es war eine große Ehre dieses Amt von Annemarie übernehmen zu dürfen und ich habe mich sehr über das Vertrauen meiner Schreibkolleginnen in mich gefreut. Nun habe ich mich in meiner Rolle zurechtgefunden. Pläne und Ziele stecken wir uns jedes Jahr am Anfang. Fixpunkte sind die Teilnahme an der Kunststraße, eine Lesung zum Weltfrauentag und eine Lesung einer Autorin/eines Autors von außerhalb. Da unser Budget sehr klein ist, können wir nicht mehr einplanen. Der Rest wie Ausschreibungen, Lesungseinladungen, Buchveröffentlichungen von Wortraummitgliedern, Textwerkstätten und sonstige Auftritte ergibt sich im Laufe des Jahres. Mehr Beachtung würde unsere Homepage verdienen. Das ist leider eine zeitliche Frage und deshalb ist die Facebookseite aktueller.
DUM: Ich hab nachgezählt - bereits 92 Mal haben wir "Wortraum-Autorinnen" in DUM veröffentlicht. Da ist schon etwas ganz Besonderes im Tiroler Oberland entstanden. Wie siehst Du die Entwicklung des Wortraums und seiner Autorinnen?
Das ist großartig. Und du hast Recht, da ist etwas ganz Besonderes im Oberland entstanden. Ich selbst kann nur für die letzten zehn Jahre, in denen ich Mitglied im Wortraum war, sprechen. Wir haben uns immer weiterbewegt, besonders ins Außen. Weg vom nur unter uns sein hin zu mehr Öffentlichkeit. Wir haben einige Buchveröffentlichungen unserer Mitglieder vorzuweisen, ein gemeinsames Buch aus dem Wortraum vor meiner Zeit gibt es und ein gemeinsames Buchprojekt des neuen Wortraum. Wir sind auf Lesungen präsent. Entweder gemeinsam oder jede für sich selbst. Besonders unsere kritische Auseinandersetzung mit den verschiedensten Themen kommt an. Einen besonderen Stellenwert hat dabei für uns das Thema Frau. Aus diesem Grund ist es auch nicht verwunderlich, dass wir ein reiner Frauenverein sind und das mit Stolz. Auch wenn einige hin und wieder uns scherzhaft als männerfeindlich belächelten. Inzwischen dürfte aber den meisten klar sein, dass das damit nichts zu tun hat. Es ist eine gewachsene Struktur und darf genauso sein. Wie auch Männerbünde sein dürfen. Der Wortraum ist sehr vielen im Oberland, Tirol und darüber hinaus ein Begriff und wird es hoffentlich bleiben.
DUM: Du wurdest 2017 mit dem Karl-Pömer-Preis ausgezeichnet. Wer war Karl Pömer und hat sich durch diese Auszeichnung für Dich etwas verändert?
1997 rief der ehemalige oö. Landeskulturdirektor und Stelzhamerbund-Obmann Dr. Karl Pömer die Gruppe neue mundart ins Leben, um auch zeitgemäße Strömungen der Dichtkunst zu fördern. Thematisch und formal sollte sich die neue mundart vom Gewohnten abheben, ohne mit der Tradition zu brechen. 2017 habe ich bei der Ausschreibung des Stelzhamerbundes mitgemacht und gewonnen. Ich habe mich darüber riesig gefreut. Für mich persönlich hat sich insofern etwas verändert, als ich damit von außen erfahren durfte, dass meine Lyrik nicht ganz so falsch ist. Ein Preis, das schmeichelt und es wäre gelogen, zu behaupten, dass man darauf nichts gibt.
DUM: Wie, wann und wo entsteht bei Dir ein Gedicht?
Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal schnappe ich Wortfetzen, Aussagen bei Gesprächen, ein Wort zwischendurch auf. Das kann im Bus, beim Anstehen an der Kassa oder in einer privaten Runde sein. Dann schreibe ich im Kopf schon. Oft sehe ich in der Natur etwas und das ist der Auslöser für ein Gedicht. Oder durch Schreibimpulse bei unseren monatlichen Wortraumtreffen und natürlich, wenn bei Ausschreibungen Themen vorgegeben werden. Dann schreibe ich zuerst einfach mal drauflos, kürze, verschiebe, streiche, ergänze ... aber das habe ich ja schon erzählt.
DUM: Worum geht es Dir beim Schreiben? Was möchtest Du an die Leserinnen und Leser weitergeben?
Auf keinen Fall möchte ich belehren. Vielmehr etwas zum Schwingen bringen, etwas auslösen. Im Idealfall findet sich jemand in einem meiner Gedichte, fühlt sich angesprochen und der Text begleitet ihn oder sie ein Stück Weg im Leben.
Einige Texte sollen jedoch wachrütteln. Wie wenn jemand dich schüttelt und schreit: "Siehst du das nicht?"
Manchmal darf ein Gedicht auch einfach nur schön sein und das Schöne noch präsenter machen, wie zum Beispiel ein Liebesgedicht.
DUM: Was sind Deine nächsten literarischen Pläne?
Im Moment absolviere ich ein Fernstudium zum Thema Prosaschreiben. Das möchte ich schon länger mehr üben und praktizieren. Bisher hat mir die Zeit und die Struktur gefehlt. Nun versuche ich mich darin und vielleicht schaffe ich eine längere Geschichte oder was auch immer. Es darf einfach passieren. Dann gibt es da noch ein Herzensprojekt, welches gerade am Wachsen ist. Gemeinsam mit einem Freund im Burgenland. Es ist aus einer Idee von ihm entstanden und wir versuchen nun Texte und Bilder zueinander in Verbindung bringen. Er ist gut mit Fotos und Photoshop und ich dichte und beginne zu fotografieren. Eine sehr fruchtbringende Zusammenarbeit, obwohl ich im Westen lebe und er im Osten. Der Technik sei Dank spielt das keine Rolle. Irgendwann vielleicht gibt es unser Gemeinschaftsprojekt auch zu bestaunen.
Ansonsten schreibe ich, reiche bei DUM und anderen Ausschreibungen ein, hoffe auf Lesungen nach Corona, arbeite und treffe mich mit den Frauen vom Wortraum.
DUM: Vielen Dank für das Interview und Alles Gute weiterhin!
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