Glanz@Elend
Magazin für Literatur und Zeitkritik
© by Herbert Debes & Kurt Otterbacher

 

Volk ohne Traum IX

 


SCHWARZER SCHLAF
Ein Statement von Uve Schmidt








Das Paradox einer Friedhofsmauer besteht darin, daß nur wenige Lebende hineinwollen und die Verstorbenen nicht herauskönnen, besagt ein Bonmot und erlaubt uns die Sinnfrage: Wer wird vor wem geschützt? In der Tat wurde die Totenruhe auf heidnischen wie auf christlichen Gottesäckern schon immer und überall gestört, von Grabräubern und Leichendieben, von Okkultisten und Nekrophilen, von Liebespaaren und Zechbrüdern, von Vagabunden und Verfolgten, die ihrerseits sich intra muros geborgen glaubten, zumal im Schutze der Nacht, da die meisten Menschen die Totenmeile meiden. Das Berliner Holocaust- Mahnmal ist kein Friedhof, sondern eine begehbare, besser zu durchwandelnde Megaskulptur in wechselnder Augenhöhe, soweit man blicken kann ein buchstäblich steinernes Meer, darin sich nun viel Volks tummelt, vor allen junges Volk.

Als lackmusfreier Antisemitismustest gilt, wenn sich der deutsche Altersrentner zu den jugendlichen Stelenspringern in Berlin äussern soll und überraschend Verständnis zeigt, denn in seiner Jugend wäre man „ja auch schon mal aufs Reiterdenkmal geklettert und so“. Ich gestehe: Mit gefällt das Eisenman-Monument und ich empfinde nicht nur Schadenfreude, hingegen gefällt mit die deutsche Jugend gar nicht. Bis die Kamera das erste Bächlein aus einem Kinderpopo einfängt (Gefällefeld!) müssen wir daheim in Frankfurt vorm Fernseher nicht ungeduldig werden; ich schätze, daß irgendbald die Bildredaktionen der deutschen Presse und die TV-Sender sowieso Orders erhalten, das Holocaustmahnmal voyeuristisch zu verschonen; handgreifliche Maßnahmen gegen Hundehalter, Radfahrer, Sonnenbader, Biertrinker und Raucher werden durchgesetzt werden müssen. Nicht das Denkmal ist der Denkfehler, sondern die vollidiotische Annahme, die Taktlosen und die Gedankenlosen, die Staatsverächter und die Judenhasser, die Prolls und die Provos würden sich am Rande dieses stellvertretenden Totenplatzes wie die Spreu vom Weizen scheiden, still und spurenlos. Und natürlich ist abzusehen, daß das Objekt ab sofort das beliebteste Reiseziel für deutsche Schulklassen sein wird, denn was für eine Gaudi lässt sich erwarten, wenn Lehrer und Kinder (bis 14 ?) völlig anachronistisch Hasch mich! und Verstecken spielen. Kann man sie anleinen, bevor sie losgelassen werden? Ich wette, daß an der Sicherung der Anlage bereits gearbeitet  wird, und ich meine, daß ausser den Erfordernissen der Pietät, der Reputation und des Kunstwerkwertes jeder Einwand nichtig erscheint, weshalb man die Gedenkstätte getrost mit Stacheldraht einfrieden sollte. Oder wie und was? Nachdem bereits Millionen in den Sand gesetzt wurden mit dem architektonischen Snobismus der Topografie des Terrors zieht ein zweites ähnliches Problem auf...

Wie halten wirs mit der Wirklichkeit? Selbst wenn die Dauerfinanzierung dank diskreter Spender gesichert würde, können wir uns keinen Dauerdissens leisten, schon gar keinen, der Entscheidungen in der Schwebe hält und Problemlösungen verschleppt, während das Denkmal der kollektiven Schande zum Schandmal verantwortlicher Kollektive verkommt, denn unabhängig von der Rechtslage behalten sich die politischen, religiösen und künstlerischen Bedenkenträger jedes geeignete Mittel vor, ihnen unpassend erscheinende Nachbesserungen zu verhindern. Allein die Reaktionen auf Lea Rosh Backenzahn machten deutlich, wie winzig Stolpersteinchen, wie brüchig die Bande der Sympathie sein können: Leas Lebenswerk hat viele Mitwirkende, aber keine echten Freunde gefunden.

Zugegeben: Bauwerke beherbergen nicht nur, sie isolieren vor allem Menschen (auch Tiere) vor unwirtlichen Wettern, vor Belästigungen und Übergriffen, sie bieten Ruhe- und Arbeitsplätze, öffentliche oder verschwiegene Vergnügungen, Präsentationsräume und Magazine, Bäder, Toiletten, Taubenschläge und Folterkeller. Als Streitobjekte qualifizieren Bauten sich durch unklare Besitzverhältnisse, rätselhafte Bodenbeschaffenheit, Pfusch am Bau, Zweckentfremdung, Umwidmungen, Eingriffe in die Bausubstanz, Verschandelung, Verwahrlosung, Vernachlässigung der Eigentümerpflichten usw. Wer die Querelen um das Mahnmal kleinreden möchte, verweist gerne auf das Naturgesetzliche dessen, was wir beklagen: 1) Kinder und Jugendliche waren schon immer so, ja, sie müssen so sein 2) Es ist der Reiz des Neuen, Ungewohnten, Einmaligen 3) Öffentliche Bauwerke sind keine Heiligtümer; das gilt auch für Gedenkstätten und ist gut so! Sagte nicht Wowereit, aber er sagte: „Was wir da erleben, sind die ersten Schritte in die Normalität!“ Womit er nicht die zahlreichen 1-Mann-Klosetts meinte, sondern die unentschuldbaren Unartigkeiten. Normal ist, Herr Regierender Bürgermeister, meine Damen und Herren, normal wäre, wenn insbesondere Kinder und Jugendliche gelernt hätten, einen symbolischen Judenfriedhof- denn um einen solchen handelt es sich oberhalb der Informationsebene- nicht zu betreten (und zu benutzen!) wie einen Abenteuerspielplatz. Normal wäre es, wenn die Bauherren eingedenk der allgegenwärtigen asozialen Normalität des Umgangs mit Kunst und Kultusobjekten im öffentlichen Raum und eingedenk des Verhaltens in öffentlichen Einrichtungen aller Art wie auch der Nullrespektierung privaten Eigentums einen cordon sanitaire errichtet hätten. Und normal ist der stattgehabte, stattfindende und künftige Gedenkbetrieb gewiß nicht, falls die Berliner und ihre Besucher wie die Ochsen vor dem neuen Stalltor nicht wüssten, wie man sich benimmt.

Die Leute wissen, was sie tun, sie denken sich nur nix dabei. Vielleicht war das der Sinne der Sache: Nun schämt Euch mal schön, in Ewigkeit, Omen... Uve  Schmidt

Nachfolgend die offizielle Besucherordnung für das Stelenfeld:
»Besucherordnung für das Stelenfeld
(1) Das Stelenfeld darf grundsätzlich nur zu Fuß und im Schritt-Tempo durchquert werden.

(2) Für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer sind 13 gekennzeichnete Gänge geeignet. Diese Gänge haben ein max. Gefälle von 8 %.

(3) Der Besuch des Stelenfeldes erfolgt auf eigene Gefahr – Warnhinweise: – Sämtliche Längs- und Querachsen sind lediglich 0,95 m breit. – Die kreuzenden Wegachsen sind nur in wenigen Teilbereichen einsehbar. Vorsicht ist geboten.

(4) Nicht gestattet ist: – Lärmen, lautes Rufen, das Benutzen von Musikinstrumenten sowie der Betrieb von Rundfunk- und Tonträgergeräten, soweit über den persönlichen Hörbereich hinausgehend, – das Lagern im Stelenfeld, auf Stelen zu klettern, von Stele zu Stele zu springen und sich in Badebekleidung auf einer Stele zu sonnen, – das Mitführen von Hunden, – das Mitführen von Fahrrädern, Skateboards, Roller-Blades, Rollschuhen, – Fahr- und Motorräder an den äußeren Stelen abzustellen, – das Rauchen, der Genuss alkoholischer Getränke und Grillen, – das Stelenfeld zu verunreinigen.

(5) Anordnungen und Anweisungen des ausgewiesenen Sicherheitspersonals sind zu befolgen.

Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Stresemannstr. 90, 10963 Berlin«


 
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