Glanz@Elend
Magazin für Literatur und Zeitkritik
© by Herbert Debes & Kurt Otterbacher

 

Volk ohne Traum II

 


Der türkische Alpdruck und die verschnarchte Demokratie
Ein Statement von Uve Schmidt








Eigentlich war es keine so saudumme Idee von Frau Merkel, mit einer Unterschriftenaktion über die EU- Mitgliedschaft der Türkei instrumentale Bewegung zu veranlassen mangels eigentlicher Bewegung von den Basen her, doch dann hat die CDU/CSU ihre Absicht abgeblasen, weil ein »Missbrauch nicht auszuschließen sei«, d.h., weil ihnen eingefallen war, dass mit einer bundesweiten handschriftlichen Adressensammlung rechtlich nichts zu bewegen, aber politisch jede Menge zu verschenken wäre. Der Vorhalt der deutschen Topkapi-Fraktion, Volksbefragungen in deutschen Fußgängerzonen würden wiedermal unser Ansehen im Ausland und damit dem Wirtschaftsstandort schaden, ist freilich frech erfunden. Tatsächlich erfahren wir werktäglich die kapitalistische Normalität als Nullsolidarität jener ausländischen Konzerne und Konsorten, die sich mit uns eingelassen haben zu günstigsten Bedingungen unserer subventionistischen Welt- und Kiezpolitiker, die den nationalen Ausverkauf vor allem qua Verantwortungslosigkeit betreiben, da sie nichts auf Erden so fürchten wie die Schmach, auf der Wallstreet angespuckt zu werden oder in Brüsseler Schlemmerlokalen an den Katzentischen sitzen zu müssen. Und ich fürchte, sie fürchten auch die Türken nicht. Ein Leichtsinn, wenn man die unleuglich drohenden Reaktionen türkischer Politiker und hiesiger türkischer Verbandsführer auf Merkels Versuchsballon ernstnimmt. Gott schütze uns vor einer EU-Richtlinie betreffs zulässiger Trichinenzahlen: Das Schwert des Islam ist keine mystische Klinge, sondern gegebenenfalls ein Dönersäbel!

Zur Sache: Das Argument, die Türkei gehöre zwangsläufig zum Okzident wegen ihres europäischen Vorgärtleins am Bosporus, ist so belangvoll wie die These, der Vatikanstaat sei ein Teil des Himmels. Niemand bestreitet, dass die Türken jahrhundertelang in Europa zu tun hatten, sehr zum Leidwesen der Völker, und wenn den Verteidigern Wiens nicht ein paar Säcke Kaffeebohnen in die Hände gefallen wären, hätten die Osmanen keine einzige erfreuliche Kulturspur hinterlassen, außer dem Gerücht, sie hätten uns das Baden beigebracht De facto gibt es keinen geopolitischen, historischen oder spirituellen Anspruch der Türkei auf Zugehörigkeit zur EU, hingegen jede Menge triftige Einwände. Die vollidiotische Vision, die Türkei bilde den idealen Pufferstaat Europas gegen das grüne Giftgas des Islamismus und alle gelben Gefahren, können sich nur Politiker ausmalen, deren Kinder und Konkubinen von staatlichen Leibwächtern eskortiert werden müssen, und natürlich bangen tausende deutscher Ruheständler um ihre preiswerten Residenzen in den türkischen Urlaubsregionen, falls die Flamme der Empörung von Frankreich auf Deutschland überspringt.

Allen Ernstes ist diese deutsche Regierung bereit und imstande, Europa zu verscherbeln für ein Linsengericht, das ihr die CDU als ewig dominante Amtsvorgängerin eingebrockt hat, da die BRD noch ein Besatzungsstatut hatte und Adenauer „auch mit dem Teufel gegen die Sowjets“ paktiert hätte; zuletzt war es Altkanzler Kohl vergönnt, in die türkische Oberschicht einzuheiraten. Tu felix Germania nube? Man muss den Menschen, den man begehrt, nicht unbedingt heiraten, schon garnicht, wenn man am Partner nur sexuell oder freundschaftlich interessiert ist. Was immer unter einer privilegierten Partnerschaft verstanden wird – von einer Liebesheirat oder Vernunftehe kann keine Rede sein, ärgstenfalls von einer Notgemeinschaft, denn nicht alle Mitgliedstaaten der EU wären vom demographischen Druck der anatolischen Gebärmutter gleichermaßen und unmittelbar betroffen, in erster Linie wir und die deutschsprachigen Nachbarländer. Sollte uns diese Bevorzugung schmeicheln? Falls die Türken überhaupt Deutsch können, spricht das, was ihre Söhne und Enkel aus unserer Schriftsprache gemacht haben, buchstäblich dagegen. Sorry, Meister Zaimoglu!

Wenn ich richtig lese, bemängelt Herr Verheugen “noch gewisse Demokratiedefizite“, doch was heißt das schon in einer Republik der Paschas? Der Skandal, dass die deutschen Parteifunktionäre der bürgerlichen Mitte ihrer Gefolgschaft die öffentliche Diskussion des heißen Themas quasi verboten haben, die Tatsache, dass die Bundesregierung auf Demonstrationen, wilde Streiks und jedwedes Volksbegehren hochallergisch reagiert, offenbart die Krise unserer parlamentarischen Demokratie.

Laut Umfrage monieren 80% aller Binnentürken als erstrangiges Demokratiedefizit die Bestechlichkeit der türkischen Beamtenschaft; laut Transparency International (v. 20.10.04), einer Antikorruptionsagentur mit Sitz in London, führen in Deutschland nur 5%  aller angezeigten Bestechungsfälle zu einem Gerichtsurteil, zumeist gegen kleine Beamte und subalterne Firmenmitarbeiter. Glücklich mit dem 15. Platz auf der Weltrangliste (am saubersten ist Finnland, die allerletzten Sumpflöcher sind Haiti und Bangladesh), verkennen wir, dass Korruption nicht nur in gutbezahlten Ungesetzlichkeiten besteht, sondern vor allem aus legalen Gefälligkeiten und außergesetzlichen Gepflogenheiten, in summa die Korallenstruktur der politischen Klasse. Ich kenne mindestens 3 deutsche Schriftsteller, die sich lieber faul und wortbrüchig schimpfen ließen, statt die Grenzen ihrer Integrität zu überdehnen, als sie begannen, die Kunstfigur eines MdB mit selbstrecherchiertem Leben zu füllen...

Die meisten Deutschen wissen, was sie an dieser Demokratie haben; soweit unser Staatswesen den Türken nützt, wird es auch von ihnen geschätzt, mitnichten von Herzen bejaht. Mir scheinen ein paar pflichtvergessene Zöllner hinnehmbarer als ein (1) Abgeordneter, der stiekum und stetig die Demokratie entmachtet aus Sorge um seinen Listenplatz etc. Aber der Wählerauftrag, direktes Mandat, Gewissenszwang, Bürgernähe, Volksvertretung, Wählerwille, Wahlversprechen, Plebiszite??? Aus der Traum! Am besten, wir warten einfach die Türken ab, die restlichen und die ofenfrischen Demokraten...
Uve Schmidt


 
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