Es ist: 15-12-2020, 17:11
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Wie denn nun? - Die ganz neue Rechtschreibung
Beitrag #1 |

Wie denn nun? - Die ganz neue Rechtschreibung
Anmerkung: Es gibt schon einen Thread, indem über Sinn und vor allem Unsinn der neuen Rechtschreibung diskutiert wird. Die Diskussion muss ja nicht in zwei Threads stattfinden, also hier klicken.
Dieser Text hier soll vor allem eine Übersicht über die Regeln schaffen und Beispiele geben. Ich hoffe, es ist alles verständlich Icon_smile.



Wie denn nun? (Die [ganz] neue Rechtschreibung)


Es ist ein Jammer mit der neuen Rechtschreibung. Da gelten die Regeln jetzt seit anderthalb Jahren und sind seit dem 01. August 2007 verbindlich, und trotzdem wissen die wenigsten, was denn nun wie geschrieben oder eben nicht geschrieben, neu geschrieben oder wie früher geschrieben wird.
Wenn man in den Duden schaut, sind alle Neuheiten auf zwei Seiten zusammengefasst. Auch http://www.neue-rechtschreibung.de zeigt die Änderungen knapp und bündig an. Vielleicht ist es ja doch nicht so viel Neues?
Ich möchte hier versuchen, das „Monster“ neue Rechtschreibung ein Stück zu bändigen.


Worum geht’s im Detail?

1.Einleitung (alt, neu und beides)
2.Getrennt- und Zusammenschreibung
3.Groß- und Kleinschreibung
4.Zeichensetzung
5.Fazit


Einleitung (alt, neu und beides)

Die aktuelle Rechtschreibung zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, dass sie oft zwei Varianten gelten lässt: die alte und die der zum 1. August 1998 in Kraft getretenen Reform. Das daraus resultierende Problem liegt auf der Hand: An welchen Stellen sind beide Formen erlaubt und an welchen nur eine (neue)? Was ist überhaupt die alte und was die neue Schreibung?
Da sich einige Regeln von selbst erklären (zum Beispiel ß/ss), werde ich mich auf die Aspekte konzentrieren, die ich für besonders irritierend halte, bzw. von denen ich weiß, dass sie vielen (wenn vielleicht auch unbewusst) schwerfallen.


Getrennt- und Zusammenschreibung

Je mehr man über die Getrennt- und Zusammenschreibung weiß, desto komplizierter wird sie. „Nach Gefühl“ schreiben klappt nicht unbedingt, denn „nach Gefühl“ schreibt man lange, zusammengesetzte Wörter lieber auseinander als zusammen – es liest sich einfach besser. Richtiger wird es dadurch leider nicht.
Damit keine Missverständnisse entstehen, zunächst einmal eine Klärung der Wortarten, die für die Getrennt- und Zusammenschreibung relevant sind:
Adjektiv – Eigenschaftswort: (das) große (Haus), (der) bunte (Schirm), usw.
Adverb – Umstandswort: (er geht) langsam, (sie springt) hoch, usw.
Partizip I – Mittelwort der Gegenwart: sehend, laufend, essend, usw.
Partizip II – Mittelwort der Vergangenheit: gesehen, gelaufen, gegessen, usw.
Substantiv – Hauptwort, Nomen: (das) Haus, (der) Schirm, usw.
Verb – Zeitwort, Tuwort: springen, gehen, essen, usw.

Und jetzt fröhlich mischen:
Adverb + Verb:
Wie vor 1996 wird hier viel zusammengeschrieben: „aneinanderfügen“, „übereinanderstellen“, usw. Generell gilt: Wenn die Betonung nur auf dem Adverb liegt, so wird zusammengeschrieben, werden beide Bestandteile gleichermaßen betont (oder liegt die Betonung nur auf dem Verb), wird getrennt geschrieben. Viele Verbindungen mit „zusammen-“ werden zusammengeschrieben, viele mit „auseinander-“ auseinander. Bei Unsicherheit hilft immer ein Blick in den Duden – zusammengeschriebene Wörter sind dort auch einzeln aufgelistet.
Adjektiv + Verb:
Wenn das Adjektiv das Ergebnis der im Verb genannten Tätigkeit angibt, sind beide Varianten erlaubt. Man darf also etwas „bunt malen“ und „buntmalen“ und danach „kleinschneiden“ und „klein schneiden“, aber: Sobald das Adjektiv abgeleitet oder erweitert wird, darf man es nur noch getrennt schreiben, folglich: „kleiner schneiden“, um die Einzelteile „zu bunt malen“, usw. Es ist wohl am sinnvollsten, immer getrennt zu schreiben.
Partizipverbindungen:
Nachdem die Reform eingeführt worden war, ereiferten sich viele dagegen, Partizipien wie „gewinnbringend“ auseinander und – als Gipfel des Ganzen – das erste Wort auch noch großzuschreiben. Jetzt sind beide Formen erlaubt, also „Gewinn bringend“ und „gewinnbringend“. Dasselbe gilt im Übrigen auch solche Konstrunktionen: „eine gewinnbringende/Gewinn bringende Investition“.
Verb + Verb:
Wenn das zweite Verb „bleiben“ oder „lassen“ ist, so darf sowohl zusammen, als auch getrennt geschrieben werden, also: „Ich habe meinen Geldbeutel liegen( )gelassen“, ebenfalls freigestellt ist, ob man „kennenlernen“ oder „kennen lernen“ schreibt. Ansonsten gilt hier die Getrenntschreibung. Auch hier ist am einfachsten, immer getrennt zu schreiben.
Substantiv + Verb:
In der Regel wird getrennt geschrieben, also: „Rad fahren“, „Schlittschuh laufen“, usw. In etlichen Fällen ist allerdings beides erlaubt, so zum Beispiel „Acht geben“/„achtgeben“. Ausnahmen bilden Verbindungen mit verblassten Subjektiven, das heißt solchen, die in der Verbindung ihre Eigenständigkeit verloren haben, wie zum Beispiel „eislaufen“, „kopfstehen“, „leidtun“ und „nottun“, auch wenn das Programmen wie Word überhaupt nicht passt.
Sonstiges:
Verbindungen mit „sein“ werden generell getrennt geschrieben, also: „da sein“ „dabei sein“, „verschieden sein“, es sei denn, es handelt sich um Substantive: „das Dasein“, „das Dabeisein“, „das Verschiedensein“.
Alle Verbindungen mit „abhanden“, „zugute“, „zunichte“, „zupass“, „zustatten“ und „zuteil“ werden zusammengeschrieben. „Der Vertrag ist ihm abhandengekommen, aber man kann ihm das eifrige Suchen zugutehalten.“

Alle weiteren Widrigkeiten entstammen nicht der Rechtschreibreform, sondern waren bereits nach der alten Rechtschreibung gültig. Wenigstens das kann man der neuen Schreibung „zugutekommen“ lassen oder auch „zugutekommenlassen“.


Groß- und Kleinschreibung

In den ersten Schuljahren wurde einem immer eingebläut, dass die Nomen und die Satzanfänge großgeschrieben werden. Eigentlich war es zu der Zeit viel einfacher mit dem Schreiben – man kam nicht auf die Idee, die ganzen kritischen Formulierungen überhaupt in die Finger zu nehmen. Auf Dauer lässt es sich aber nicht vermeiden, die Großschreibung auch in anderen Fällen zu benutzen.
Durch die Reform zum Beispiel in Fügungen wie „heute Morgen“, „gestern Abend“ oder „morgen Vormittag“ – hierbei werden „der Morgen“, „der Abend“ und „der Vormittag“ ganz normal als Substantiv angesehen, folglich also großgeschrieben.
In festen Wortgruppen und Paarformeln, die sich nicht deklinieren lassen, ist ebenfalls Großschreibung angesagt – das ist eigentlich keine Änderung, sondern nur eine Verallgemeinerung, denn in der alten Rechtschreibung wurde in diesen Fällen die Substantivierung nicht konsequent durchgehalten. So ergibt sich: „Der Einzelne“ wie „die Russisch-Orthodoxen“, „und Ähnliches“, „im Allgemeinen“, usw.
Dank der Reform stehen in etlichen Fällen sowohl die Groß- als auch die Kleinschreibung zur Verfügung.
Man kann „recht haben/behalten/bekommen/geben/tun“ und „Recht haben/behalten/bekommen/geben/tun“. Man kann „von neuem“ und „von Neuem“ beginnen, man kann etwas „von weitem“ und „von Weitem“ sehen, „bis auf weiteres/Weiteres“ nicht mehr zu erreichen sein, „seit längerem/Längerem“ nichts voneinander gehört haben und das „ohne weiteres/Weiteres“ ändern. Es gibt noch unzählige weitere dieser Beispiele.
Adjektive werden generell kleingeschrieben (nein, das ist keine Änderung *g) – allerdings gibt es keine Regel ohne Ausnahme:
Wenn aus dem Adjektiv und dem folgenden Substantiv ein Gesamtbegriff entsteht, werden beide Wörter großgeschrieben. So zum Beispiel der „Kalte Krieg“, der „Erste und Zweite Weltkrieg“. Die Großschreibung kann auch zur besonderen Hervorhebung genutzt werden, zum Beispiel beim „Blauen Brief“ oder dem „Schwarzen Brett“.
Die Verfechter der Großschreibung des Wortes „Du“ (und seinen Anhängseln wie „Dein“) können übrigens einen Teilerfolg feiern: Es ist wieder erlaubt, die persönliche Anrede in Briefen großzuschreiben. In allen anderen Fällen gilt aber weiterhin die Kleinschreibung.


Zeichensetzung

Unser aller Sorgenkind – kaum zu glauben, dass sich in diesem Bereich nur sehr wenig geändert hat. Abgesehen davon, dass man in Satzreihen kein Komma mehr vor „und“ und „oder“ setzt, gibt es eine wesentliche Änderung, die zum 1. August 2006 auch noch einmal überarbeitet worden ist. Sie betrifft die Infinitivgruppen, also Satzgruppen wie in „Ich denke nicht daran zu gehen.
Seit 1998 war es freigestellt, in solchen Sätzen ein Komma zu setzen. Jetzt gilt:
Werden Infinitivgruppen mit „um“, „ohne“, „statt“, „anstatt“ oder „außer“ eingeleitet, so muss ein Komma gesetzt werden. Also nicht mehr: „Er ging in die Stadt(,) um Brötchen zu kaufen“, sondern nur noch: „Er ging in die Stadt, um Brötchen zu kaufen.“
Zudem ist ein Komma Pflicht, wenn die Infinitivgruppen von einem Substantiv oder einem Korrelat („es“) abhängen. So zum Beispiel: „Sie liebte es, im Regen schwimmen zu gehen“, „Sie hatten den Wunsch, alles hinter sich zu lassen“, „Sein Vorschlag, auf den Ausflug zu verzichten, stieß auf wenig Gegenliebe.“


Fazit

Rechtschreibung ist nicht einfach, und – besonders heute – auch nicht selbstverständlich. Rechtschreibung zu erklären, wird in manchen Fällen zu einer Aufgabe, die nicht ohne weiteres zu lösen ist. Besonders die Getrennt- und Zusammenschreibung scheint sich selbst ein Bein zu stellen, oder aber demjenigen, der versucht, sie zu verstehen.
Aber mal ehrlich: Wer möchte denn noch, wie vor dreihundert Jahren, (orthographisch) unleserliche Schriftstücke vor Augen bekommen, deren Inhalt man sich laut vorlesen muss, um ungefähr zu erahnen, was der Autor denn nun für ein Wort gemeint haben könnte? Ich nicht. Dann doch lieber mit Reformen auseinander setzen Icon_wink.

In diesem Sinne,
Liebe Grüße,
Libertine

Quellen:
Duden Band 1, 22. und 24. Auflage, Dudenverlag
http://www.neue-rechtschreibung.de/aktuell.htm

... und von den wundersamsten Wegen bleibt uns der Staub nur an den Schuhen. (Dota Kehr)
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Beitrag #2 |

RE: Wie denn nun? - Die ganz neue Rechtschreibung
Huch ... Das Monster ist tatsächlich los!

Danke Libertine für deinen Beitrag und für die Bändigung des Monsters. Bringe das recht oft durcheinander - was ist neu, was ist alt, was ist Schweizerdeutsch. Muss wohl öfters mit nem Duden schaffen, um die Verwirrung in meinem Kopf unter Kontrolle zu bringen :/

Grüsse Lijana ^.^

"I wish none of this had happend!"
"So do all who live to see such times. But it's not for them to decide. All you have to decide is what to do, with the time that is given to you!"
- Frodo & Gandalf the Grey by J.R.R. Tolkien

Lijana's Fire Magic ~ Werkeverzeichnis ^.^

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Beitrag #3 |

RE: Wie denn nun? - Die ganz neue Rechtschreibung
Hallo Lijana,

was ich sehr hilfreich finde, ist ein Programm, das sich Office Bibliothek nennt und - glaube ich - vom Duden-Verlag ist. Das ist sozusagen ein digitaler Duden, der sehr übersichtlich gestaltet ist. Seit ich das habe, blättere ich nur noch sehr selten.

Liebe Grüße,
Libertine

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