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Archetypen
Ich bin momentan dabei, mich tiefer in die Charakterentwicklung einzuarbeiten und dabei habe ich eine interessante Webseite gefunden, die sich mit der Einteilung von Charakteren in Archetypen beschäftigt. Sie ist auf englisch. Ich bin bei der Suche nach guten Informationen über die Entwicklung und Technik des Schreibens in Deutschland leider nicht weiter gekommen. Reichhaltige Informationen und Erfahrungen von Autoren, Lektoren oder Agenten bekommt man scheinbar viel besser in Amiland. Oder ich habe die guten Quellen im deutschsprachigen Raum übersehen 
Hier ist der Link, ich möchte diese Anregung gerne mit Euch teilen:
Tami Cowden - master archetypes
Liebe Grüße von slainte
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RE: Archetypen
"The Complete Writers Guide To Heroes And Heroines" Cowden, LaFever, Viders, Neuauflage 2013
So, ich habe mir das zugehörige Buch einmal vorgenommen, weil ich festgestellt habe, dass ich in der Charaentwicklung feststecke. Zunächst war ich skeptisch, weil ich mit dieser Einteilung dazu gezwungen werde, Charas in Schubladen einzuteilen, was ich im wirklichen Leben einfach nur doof finde. Aber es macht Sinn. Nämlich dann, wenn ein Chara einen nicht unter die Schädeldecke gucken lässt. Es hilft dabei, unlogische Handlungen eines Charas zu vermeiden und ihn glaubwürdig erscheinen zu lassen.
Diese Archetypen basieren auf der Einteilung des Schweizer Psychaters C.G. Jung. Tami Cowden, Caro LaFever und Sue Viders betrachten sie aus Sicht der Fiktion schreibenden. Sie geben detaillierte Informationen darüber, wie sich Eigenschaften von verschiedenen Archetypen in einem Charakter vermischen können. Für jeden Archetypus gibt es Details zu den Rollen, die er spielt, mit Beispielen aus bekannten Filmen. Ein umfangreicher Teil widmet sich der Interaktion, den Konflikten, die entstehen, wenn verschiedene Archetypen aufeinander treffen.
Sie beschreiben auch die verschiedenen Möglichkeiten der Veränderung, die Charaktere durchlaufen können, aber nicht müssen.
Praktisch wird es im Abschnitt 3, der erklärt, wie Charaktere anhand dieser Archetypen entwickelt werden können. Hier wird unterschieden zwischen Charakteren, die
- in ihrem Archetypus verbleiben
- Eigenschaften eines anderen Archetypus entwickeln
- von Anfang an sich überlagernde Ebenen von mehreren Archetypen in sich vereinigen.
Für mich hat sich das Lesen gelohnt, da ich meine Charas nun besser auf ihre logischen und unlogischen Handlungen überprüfen kann. 
Um noch tiefer einzusteigen, habe ich ein weiteres Buch studiert (das trifft es perfekt, denn dabei hat mein Kopf teilweise echt geraucht):
Getting Into Charakter von Brandilyn Collins. Hier geht es darum, wie man glaubwürdige, komplexe, dreidimensionale Charaktere erschaffen kann.
Sie benutzt die Methoden von Schauspielern, um sich in einen Chara komplett hineinversetzen zu können. Sie beschreibt, wie sich ein Chara von innen nach außen entwickelt: Aus seinen tiefsten Überzeugungen und "Kernwahrheiten" ergeben sich sein Verhalten, sein Verlangen, seine Haltung und Handlungsweise als logische Konsequenz. Und diese "Kernwahrheiten" können sich widersprechen und den Chara somit in allertiefste Konflikte stürzen, wenn er sich für eine seiner tiefsten Überzeugungen entscheiden muss. Das ist echt heavy stuff, macht Spass, klug und ist gut praktisch umsetzbar.
Sehr klasse finde ich die Idee, die der Theaterregisseur Stanislawski, von dem sie die Methoden adaptiert hat, beschreibt:
Eine Schauspielerin beschwerte sich bei ihm, dass sie sich niemals in einen Mörder hineinversetzen könnte, es wäre ihr einfach zu fern und sie würde niemals auch nur auf die Idee kommen, jemanden umzubringen. Er erklärte ihr, sie solle sich vorstellen, wie es ist, Mücken im Schlafzimmer zu haben, wenn man todmüde ist und die Biester einen einfach nicht schlafen lassen. Diese Mücken lassen einen zum Killer werden. Sie wird nicht eher ruhen, als bis sie die Mücken plattgemacht hat. Stanislawski sagt, dass dieses Gefühl verwandt ist mit denen eines Mörders (ich denke mal, er war sicher keiner  ), aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das funktioniert. Collins bringt viele Beispiele aus ihrem eigenen Leben und vieles kommt einem doch sehr bekannt vor.
Ich bin jetzt klüger als vorher und werde meine Charakterentwicklung einer kritischen Prüfung unterziehen, bzw. habe bereits damit begonnen. Es ist richtig schwer - und superspannend.
Wie ist es bei Euch? Sind Eure Geschichten eher Plotgesteuert oder Charaktergesteuert? Wieviel wisst Ihr von Euren Charas, bevor sie handeln? Ab wann sprengt ein Chara die Handlung, weil er anders reagiert, als vorgesehen?
Liebe Grüße von slainte
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RE: Archetypen
Jo slainte,
C.G. Jung steht schon lange auf meiner Leseliste, v.a. wegen seinen Archetypen, bis jetzt hat sich aber eine ernsthafte Lektüre noch nicht ergeben. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich wenig bis gar nichts von Schreibratgebern und dgl. halte, da sie (in meinen Augen) sich anmaßen eine Universalanleitung für etwas zu geben, das für jeden etwas Höchstpersönliches ist und so ungemein Kreatives sein kann, wenn man sich nicht an irgendwelche "Richtlinien" oder "Tipps" zu halten hat. Darum lese ich viel lieber "Originale" aus den Sozial- und Geistes-(oder eben auch Natur-)Wissenschaften, bevor ich mich mit einer Version davon befasse, die ja schon eine Art Zensur bzw. Verschnitt der eigentlichen Materie darstellt.
Die Entwicklung meiner Charaktere, puh. Ich habe den Vorteil, dass ich die Charaktere meines Hauptwerkes bereits über zehn Jahre kenne, d.h. sie haben mit mir die Pubertät durchlaufen und ich mit ihnen. Meine Figuren haben mit der Zeit also eine ganz natürliche Biographie erhalten, ohne dass ich sie irgendwelchen Schemata oder Typisierungen unterworfen hätte.
Aber alles hat einen Anfang.
Ganz zu Beginn der Romanreihe musste ich also bei null anfangen und das machte ich so: Ich setzte für jede meiner Figuren zumindest ein Hauptmerkmal fest.
Person A schüchtern und ängstlich, soll aber im Laufe der Handlung an Mut und Selbstsicherheit gewinnen.
Person B liebt Person A und würde alles für sie tun.
Person C auf Person A wegen B eifersüchtig.
Person D hat C im Auge, weil sie vermutet, dass C A schaden könnte.
Etc.
Dann kam die Handlung.
Was möchte ich, das meine Figuren erleben? In welchen Situationen werden die Eigenschaften, über die sie sich besonders definieren, gut sichtbar?
So kristallisierten sich zunächst fetzenweise Szenen heraus, die charakteristisch für die jeweiligen Personen sein sollten. Nach und nach kamen mehr davon und irgendwo war ein roter Faden erkennbar.
Dann ging es ans Schreiben und ab da war wieder alles anders. 
Naja, bleiben wir bei der Wahrheit, in den ersten 4 Jahren schrieb ich 900 Seiten einfach mal runter, in der felsenfesten Überzeugung zu wissen, was meine Figuren und ich wollten. Ein Jahr später, mit gewonnenem Abstand, merkte ich, dass ich zwar eine Ahnung davon hatte, wer meine Figuren waren, aber nur ansatzweise es verstand, das rüberzubringen, was sie wirklich ausmachte. An der Handlung änderte ich nicht viel, doch die Charaktere waren flach und unausgereift, also überarbeitete ich alles nochmal, aber diesmal schon näher an den Figuren, die ich eigentlich erschreiben wollte.
Dieser Prozess läuft nun schon über 4 Jahre und ich muss sagen, es ist nicht einfacher geworden. Mir haben sich zwar neue Möglichkeiten erschlossen, das zu sagen, was gesagt werden will, aber mit den neuen Möglichkeiten, will gleichzeitig auch MEHR und MEHR gesagt werden, ein ewiger Teufelskreis also.   Zeit ist Luxus, aber ohne die geht es eben nicht, wenn du wirklich den Kern deiner Figuren und auch deinen eigenen als Schriftsteller kennenlernen willst.
Mir drängt sich gerade ein Vergleich auf: meine Figuren sind zunächst, in der Anfangsphase, ein riesiger Klotz Marmor - in groben Zügen weiß ich, wer sie sind, aber da ich noch nicht mit ihnen gearbeitet habe, kann ich natürlich auch nicht wissen, was in ihnen steckt. Erst im weiteren Prozess des Schreibens, der intensiven Auseinandersetzung mit ihnen, erhalten sie Feinschliff und aus dem einstigen formlosen Marmor ergibt sich eine feinsäuberlich gehauene Statue. Nur das kostet eben Zeit und Nerven, ist es aber ganz sicher wert.
Zitat:Ab wann sprengt ein Chara die Handlung, weil er anders reagiert, als vorgesehen?
So etwas gibt es nicht. Meine Figuren sind die Handlung. Wenn ich mir z.B. im Vorfeld vornehme, Person A muss durch diese Tür gehen, doch irgendwie kommt immer etwas dazwischen, als sollte es nicht sein, dann hat das sicher seine Berechtigung. Dann gehört die Entscheidung, durch diese Tür zu gehen, einfach nicht zu Person A - vielleicht sollte Person C eher durchgehen? Ich kann so viele Pläne wie ich will schmieden, Notizen verfassen, wie der Roman ablaufen sollte, aber nicht alle müssen und können verwirklicht werden. Es gibt 1000 Möglichkeiten, eine Geschichte zu schreiben, und 1000 Charaktere, die diese leben, aber sobald ich mich für einige davon entscheide, muss ich mich damit abfinden, dass von den besagten 1000 Möglichkeiten schon mal 100 wegfallen, wenn Person A die Hauptfigur sein soll. Was völlig okay ist, denn diese liefert mir wiederum neue Ansätze, die ich zuvor nicht gesehen habe, aber jetzt ganz deutlich sind.
Lange Rede, kurzer Sinn: ich lasse meinen Figuren so ziemlich alles durchgehen und sie nehmen dafür in Kauf, dass sie es mit dem Leben bezahlen müssen. 
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RE: Archetypen
Moin.
Slainte schrieb:Wie ist es bei Euch? Sind Eure Geschichten eher Plotgesteuert oder Charaktergesteuert? Wieviel wisst Ihr von Euren Charas, bevor sie handeln? Ab wann sprengt ein Chara die Handlung, weil er anders reagiert, als vorgesehen?
Tja, Charaktere. Meine entwickeln sich eher mit dem Plot. Natürlich überlege ich mir im Voraus, was ungefähr passieren soll und wer da ungefähr auftauchen soll und gebe ein paar grobe Züge vor (die aber stets einer Entwicklung unterliegen und immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden).
Vor diesem Hintergrund fällt es meinen Charakteren auch schwer, die Handlung zu sprengen - sie machen sie. Wenn die Story aus der Situationslogik dann anders verläuft als ich das ursprünglich gedacht habe, dann muss ich zusehen, was ich daraus mache. Ich werde aber sicher nicht meinen Charakter "brechen". Da ist mit Konsequenz in seiner Handlung lieber als die nächste Kurve im Plot. Schlimmstenfalls muss man dann eben improvisieren ...
Aber nochmal zu den Archetypen. Ich habe keine Ahnung von C.G. Jung, nie etwas von ihm gelesen, nie mit ihm beschäftigt. Die Website, die du oben verlinkt hast, habe ich mir trotzdem mal angesehen. Ich weiß aber nicht recht mit den Archetypen, die dort vorgestellt werden. Mir sind sie oft viel zu holzschnittartig. Für den Einstieg als grob behauenen Klotz mag das hilfreich sein, aber allein die Unterteilung in Heroes/Heroines einerseits und Villains andererseits macht sie relativ eindimensional. Eindimensionale Charaktere wiederum sind berechenbar. Sind die Charaktere maßgeblich für den Plot, dann sind sie, wenn eindimensional und berechenbar, der Tod für jede Spannung. Toll finde ich in sich schlüssige Figuren, die weder Held noch Schurke sind. Charaktere, die nachvollziehbar handeln wie du und ich, die dann einmal in einander rasseln und Kontrahenten sein können, ohne rein gut, (mehr oder minder strahlender) Held, oder rein böse, (mehr oder minder abscheulicher) Schurke, zu sein. Da bedürfen diese Archetypen dann allerdings noch derart viel Feinarbeit, dass man sie letztlich gleich selbst schreiben kann. Zauberwerk ist das, was da vorgestellt wird, in meinen Augen nämlich nicht.
Grüße!
Lehrling
14-02-2015, 12:43
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 14-02-2015, 12:44 von Sternchen.)
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RE: Archetypen
Hallo Slainte,
eine interessante Webseite die du da ausgegraben hast. Ich hab mich mit dem Thema Archetypen noch nicht ausführlich beschäftigt. Meine Charaktere entstehen aus dem Bauch heraus, wobei, dass stimmt auch nicht ganz ... bevor ich mich überhaupt daran mache zu wissen, welche Personen ich in meiner Geschichte haben möchte, bin ich auf der Suche nach einem Konflikt der mir gefällt. Und dann überlege ich mir, welche Menschen würden wie mit diesem einem gewissen Problem umgehen aufgrund welcher Überzeugungen und wie kann ich an diesen Überzeugungen auf eine möglichst spannende, dramatische, vielleicht auch komische und menschlich nachvollziehbare Art ... sägen.
Über die "Tiefe" die eigentlich in diesem Prozess steckt mache ich mir zwar viele Gedanken, betrachte sie aber sicherlich nicht so bewusst, wie vielleicht möglich wäre und daher wirken meine Charaktere in meinem Kopf wochenlang unrund. Über die Geschichte, die ich demnächst endlich anpacken möchte, reflektiere ich seit ungefähr einem Jahr und gehe immer und immer wieder Variablen durch. Adaptiere immer, immer wieder. Vielleicht wäre ich mit Schubladen-Denken, etc. auch schneller. Wobei ich dann wieder denke, der Weg ist das Ziel. Trotzdem hast du mich eigentlich sehr neugierig auf die beiden Bücher gemacht. Könnte sein, dass ich mich in den nächsten Monaten - wenn wieder mehr Zeit da ist - einmal einlese und dann noch einmal meinen Senf dazugeben.
Viele liebe Grüße,
Sternchen
"Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht."
Vaclav Havel Viele kleine Sternschnuppen
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RE: Archetypen
@sniffu
Zitat:Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich wenig bis gar nichts von Schreibratgebern und dgl. halte, da sie (in meinen Augen) sich anmaßen eine Universalanleitung für etwas zu geben, das für jeden etwas Höchstpersönliches ist und so ungemein Kreatives sein kann, wenn man sich nicht an irgendwelche "Richtlinien" oder "Tipps" zu halten hat. Darum lese ich viel lieber "Originale" aus den Sozial- und Geistes-(oder eben auch Natur-)Wissenschaften, bevor ich mich mit einer Version davon befasse, die ja schon eine Art Zensur bzw. Verschnitt der eigentlichen Materie darstellt.
Ich habe angefangen, Schreibratgeber zu studieren, weil ich mit meiner ersten Schreiberei nicht das erreichem konnte, was ich wollte. Natürlich kann ich Geschichten erfinden - vielleicht sogar gute, aber sie aufs Papier zu bringen, so dass andere sie lesen wollen, ist ne völlig andere Nummer, wie ich feststellen musste (klein slainte ist manchmal echt ein wenig naiv  ) Ich habe gute und schlechte Bücher gefunden. Das wichtigste war mir dabei, zu kapieren, dass ich alles auch anders machen kann. Je mehr ich von anderen Autoren erfahre, wie sie das Handwerk des Schreibens angehen, desto einfacher ist die Entscheidung für mich, etwas zu machen oder eben nicht, oder einen ganz anderen Weg zu gehen. Immer betrachte ich meine Schreiberei aus einem anderen Blickwinkel, und das ist so positiv für mich. Und ich verstehe besser, was für den Leser funktioniert und was nicht ( natürlich gilt das nicht pauschal).
Zitat:Mir drängt sich gerade ein Vergleich auf: meine Figuren sind zunächst, in der Anfangsphase, ein riesiger Klotz Marmor - in groben Zügen weiß ich, wer sie sind, aber da ich noch nicht mit ihnen gearbeitet habe, kann ich natürlich auch nicht wissen, was in ihnen steckt. Erst im weiteren Prozess des Schreibens, der intensiven Auseinandersetzung mit ihnen, erhalten sie Feinschliff und aus dem einstigen formlosen Marmor ergibt sich eine feinsäuberlich gehauene Statue. Nur das kostet eben Zeit und Nerven, ist es aber ganz sicher wert.
Das hast Du schön beschrieben und so ähnlich ging es mir in der ersten Geschichte, die jetzt auf Eis liegt. Ich möchte aber einen Schritt weiter gehen. Um es mit Deinem schönen Bild auszudrücken: Ich möchte wissen, woher der Marmor kommt und wie er gewachsen ist, der als Grundlage für die Bildhauerei dient.
@Federlehrling
Zitat:Vor diesem Hintergrund fällt es meinen Charakteren auch schwer, die Handlung zu sprengen - sie machen sie. Wenn die Story aus der Situationslogik dann anders verläuft als ich das ursprünglich gedacht habe, dann muss ich zusehen, was ich daraus mache.
Also Du hast zuerst einen oder mehrere Charas, mit denen Du eine Geschichte gestalten willst? Und eine grobe Vorstellung des Plots? Bist Du da flexibler, die Charas umzuschreiben, wenn es unlogisch wird oder den Plot anzupassen? Funktionieren tut ja beides, aber was ist für Dich schwieriger? Ich selbst habe Probleme damit, mich von liebgewordenen Charaktereigenschaften zu trennen, weil sie nicht zum Plot passen. Aber bei mir gibt es einen Anfang und ein Ende, die unveränderlich sind. Der Plot steht als Gerüst und ist nur innerhalb der Fixpunkte anpassbar. Daher muss ich soviel im Vorfeld wissen.
Zitat:Mir sind sie oft viel zu holzschnittartig. Für den Einstieg als Da bedürfen diese Archetypen dann allerdings noch derart viel Feinarbeit, dass man sie letztlich gleich selbst schreiben kann.grob behauenen Klotz mag das hilfreich sein, aber allein die Unterteilung in Heroes/Heroines einerseits und Villains andererseits macht sie relativ eindimensional. Eindimensionale Charaktere wiederum sind berechenbar. Sind die Charaktere maßgeblich für den Plot, dann sind sie, wenn eindimensional und berechenbar, der Tod für jede Spannung.
Es geht ja gerade darum, dreidimensionale Charas zu erschaffen. Das Buch beschreibt diese Schubladeneinteilung als Grundlage für logische Handlungen. Es bewahrt einen davor, seinen Chara etwas tun zu lassen, was seinem Wesen absolut widerspricht und damit unglaubwürdig wirkt. Bei den meisten werden vielfältige Eigenschaften auftreten, die mehreren Archetypen zugeordnet werden können und den Chara so komplex machen. Und dann sind da immer auch die Ausnahmen. Für mich ist das ein guter Workaround, mich it den Charas tiefer auseinanderzusetzen.
Zitat:Da bedürfen diese Archetypen dann allerdings noch derart viel Feinarbeit, dass man sie letztlich gleich selbst schreiben kann.
Da kommt man nicht drumrum - ich glaube nicht, dass die Archetypen als Schablone gedacht sind.
@Sternchen
Zitat:Vielleicht wäre ich mit Schubladen-Denken, etc. auch schneller.
Ich sehe das nicht als Schubladendenken. Es ist eine Grundlage, um eben aus diesen Schubladen herauszukommen und Tiefe zu entwickeln. Das ist jedenfalls mein Eindruck, nachdem ich die Bücher durchgearbeitet habe. Z.B. Wenn ich einen Chara habe, der in einer bestimmten Kultur aufgewachsen ist, in der Traditionen hochgehalten werden, dann wird dieser Chara sehr wahrscheinlich in seinen Grundwerten diesen Traditionen folgen. Oder er wird sich sehr bewusst dagegen stellen, weil er sie als falsch empfindet. Dennoch sind sie ein Teil von ihm, und wenn er noch so sehr davon los will, wird er sich irgendwo darin wiederfinden - und dadurch vielleicht in einen tiefen Konflikt gestürzt. Die Grundwerte, seine tiefsten Überzeugungen werden sein Handeln in die eine oder andere Richtung bestimmen. Damit ist er kein freischwebender Charakter mehr, sondern eingebunden in sein Umfeld.
Ist dieser Chara vom Typ her eher introvertiert und Einzelgänger, wird er diesen Konflikt anders austragen, als wenn er eine offensive Kämpfernatur besitzt. Was passiert aber, wenn sich beide Typen vermischen?
Ich habe einfach eine neue Sichtweise auf meine Figuren bekommen und hoffe, sie authentischer, emotionaler und nachvollziehbarer gestalten zu können.
Liebe Grüße von slainte
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RE: Archetypen
Moin.
Bei mir ist der Plot im Voraus ohnehin nicht in den Details, sondern in einer groben Richtung festgelegt. Da ist viel Raum, dass die Charaktere im Rahmen ihrer Entwicklung den Plot in eine andere Richtung schieben.
Grüße!
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RE: Archetypen
Hey slainte, hey alle Mitdiskutierenden,
da ich solchen theoretischen Konzepten nichts abgewinnen kann (was mit meiner Art zu schreiben zusammenhängt), will ich mich hauptsächlich auf diese Fragen konzentrieren:
Zitat:Wie ist es bei Euch? Sind Eure Geschichten eher Plotgesteuert oder Charaktergesteuert? Wieviel wisst Ihr von Euren Charas, bevor sie handeln? Ab wann sprengt ein Chara die Handlung, weil er anders reagiert, als vorgesehen?
Ich befasse mich nicht mit Archetypen, Lebensläufen und Charakterblättern, weil ich meine Figuren aus dem Bauch heraus entwickle. Wobei das auch schon falsch ist. Sie entwickeln sich selbst aus dem Bauch heraus.
Am Anfang einer Geschichte habe ich immer eine oder mehrere Figur(en), von denen ich sehr wenig weiß. Ich nehme mal Kumen-Esh als Beispiel und dort Hitoro Takahashi.
Er war am Anfang ein Ork (das musste sein, daraus enstand die ganze Idee), und der war ein einäugiger, alternder Soldat, der seine Familie vermisst. So ist er in meinem Kopf aufgetaucht. Wenn ich dieses grobe Konzept habe, kann ich anfangen zu schreiben. Ich wusste damals noch nicht, wie genau er sein Auge verloren hat oder welcher Typ er ist. Er saß in einem Raum mit 6 Orklingen, die er unterrichten muss, und ich habe ihn agieren und reagieren gelassen.
Instinktiv habe ich ihn in Konflikt mit einer zweiten Figur gesetzt - ein Verhältnis, das später den Verlauf der Handlung beeinflusst hat, ohne dass ich es geplant hätte.
Überhaupt hatte ich ja von der Handlung wenig Vorstellung. Ich wusste, worauf es ganz am Ende hinauslaufen würde, und dass es einen Ortswechsel geben würde, vom Raumschiff auf eine Raumstation, von der ich ein grobes Bild hatte.
Aber ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, ob Hitoro nun optimal dafür ist, dieses Ziel zu erreichen. Ob er mehr Soldat sein müsste, aggressiver oder diplomatischer.
Meine Figuren tragen die Handlung an ihr Ziel.
Ich halte mich nicht einmal an meine eigenen Pläne, WENN ich eine Figur mal voraus plane. Anna und Vic zum Beispiel habe ich für meine Verhältnisse kalkuliert in die Geschichte gebracht. Ich wusste schon vorher, dass ich an dieser Stelle der Geschichte neue Figuren brauche und habe mir sogar GEdanken dazu gemacht. In der Theorie war Anna die ältere, hatte den verantwortungsvollen Posten der Werftmeisterin inne, gab den Ton an, war die erfahrene.
In der Realität ist sie jetzt Auszubildende, manchmal mit der Situation überfordert und trotzdem eine starke Persönlichkeit.
Sie ist ganz anders geworden, als ich mir das vorgestellt habe, weil es in dem Moment, in dem ich sie auftreten ließ, einfach nicht gepasst hat. Allerdings ist auch ihr erster Auftritt inzwischen "falsch", weil sich ihr Charakter erst während des Schreibens und einiger kritischer Situationen genauer herausgebildet hat und jetzt eben nicht mehr so ganz zu dem passt, wie ich sie am Anfang dargestellt habe.
Das passiert mir bei Kumen-Esh erschreckend oft, bei anderen Geschichten so gut wie nie.
Asad ist auch ein gutes Beispiel: Ich hatte ihn schon im Kopf als dauermotzenden Unsympath. Flucht viel, hat ein Problem mit Autoritäten, neigt zu Gewalt. Dass er gleichzeitig ein Genie ist und für sein Leben gerne lehrerhafte Vorträge über Dinge hält, die keinen anderen Menschen interessieren ... das hat sich erst während des Schreibens gezeigt. Dass er eine schlimme Vergangenheit mit sich herumschleppt und auch eine weiche Seite hat ... ebenfalls nicht geplant.
Ich hab da einfach die Erfahrung gemacht, dass ich mich sowieso nie an meine Pläne halten kann.
In einem anderen Romanprojekt wollte ich eine starke Frauenfigur als Protagonistin. Eine Diebin, die Ahnung hat von dem, was sie tut, die mit beiden Beinen im Leben steht, keinen Beschützer braucht. Herausgekommen ist eine junge Frau, die zwar super einbrechen kann, aber sonst in ihrem Leben eigentlich nichts auf die Reihe bekommt und bei meinem Mann den Beschützerinstinkt weckte.
Bei Handlung ist es genauso, deshalb plane ich auch da wenig: Beim Schreiben kommen mir einfach viel bessere, passendere, stimmigere Ideen, so dass ich Pläne früher oder später sowieso über den Haufen werfen muss.
Daher passiert es schon relativ oft, dass meine Charas nicht das machen, was ich eigentlich geplant hatte, aber da ich mit diesem "eigentlich geplant" sowieso sehr flexibel bin, kann ich damit leben.
Nach einer Weile habe ich ja etwa im Gespür, was meine Leute tun würden und kann die Situation, in die sie geraten, so gestalten, dass sie sich für den Plan entscheiden, der mit meinen Plänen konform geht
(In KE musste ich zum Beispiel jemanden umbringen. Also hab ich seinem Mörder lediglich die perfekte Szenerie geschaffen, um genau das zu tun.)
Also ich schreibe ganz klar charaktergesteuert und versuche diesen Figuren einen passenden Plot zusammenzuzimmern.
Wenn ich da über Archetypen rangehen würde, würde ich mich selbst glaube ich ständig eingeschränkt fühlen. Nicht, weil dieses System einschränkt - so wie du es darlegst, scheint es ja alle Möglichkeiten zuzulassen. Sondern weil es mir eine Blockade im Kopf errichten würde. Ich würde vermutlich stärker über die Rolle der Figuren nachdenken und womöglich entgegen meines Bauchgefühls schreiben. Und das geht bei mir eigentlich nie gut.
Ich als Bauchschreiber finde, dass die ganze Schreibtheorie besser hinterher anzuwenden ist. Um Mängel im eigenen Werk zu entdecken, um Dinge zu optimieren oder einfach ein "schlechtes Gefühl" an etwas Greifbaren festzumachen. Ich selbst würde es nicht machen, kann mir aber vorstellen, dass es Sinn macht, beim Überarbeiten auf diese Archetypen zu prüfen und auf dieser Grundlage (leichte) Anpassungen an den Charakteren vorzunehmen. Zu kontrollieren, ob wirklich alle Figuren gebraucht werden, um die Geschichte zu erzählen und sowas.
Für mich ist diese Archetypen-Sache eher etwas, um ein Werk im Nachhinein zu interpretieren. Nichts, das ich aktiv beim Schreiben anwenden und beachten würde. Aber gerade wenn man einen Bestseller schreiben will (also professionell, mit Zielgruppe im Blick und so), kann ich mir schon vorstellen, dass man erfolgreicher sein kann, wenn man diese grundlegenden Theorien kennt und anwendet. Ähnlich wie die Heldenreise, die ja einfach ein erfolgreiches Konzept ist und sich in so vielen Büchern finden lässt.
Aber weil ich weder der große Planer bin, noch eine professionelle Veröffentlichung anstrebe, bleib ich bei der Schreibweise, die mir am meisten Spaß macht und das ist definitiv frei aus dem Bauch raus. Auch wenn man hin und wieder unschöne Überraschungen erlebt
Liebe Grüße
Lanna
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