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Aigen war unersättlich. Alles, was an ihr optisch zu groß geraten sein mochte, wirkte sich im Bett positiv aus. Ihre Lippen, ihre Brüste, ihr Arsch, ihre Schamlippen und ihre Hände schienen überall gleichzeitig zu sein und Rochen war von dieser Überdosis Gier, Weiblichkeit und Hemmungslosigkeit überwältigt. Er kam regelmäßig in Aigens kleine, überfüllte und immer zu heiße Wohnung, vermied aber, so gut es ging, sich mit ihr in der Öffentlichkeit zu zeigen. Sie verbrachten mehr und mehr Zeit im Bett, dachten nicht daran, ins Freie zu gehen, vergaßen oft, sich etwas zu essen zu besorgen, und standen schließlich überhaupt nicht mehr auf. Das hatte Folgen. Als Aigen das erste Mal ohne Ankündigung ins Bett urinierte, war Rochen einigermaßen überrascht. "Auch das ist ein Teil von mir", sagte sie und goss, als sie bemerkte, dass er keineswegs angeekelt war und sogar eine Erektion bekam, noch etwas nach. Eine Woche später war ihm keine von Aigens Körperflüssigkeiten und -ausscheidungen mehr fremd. Rochen konnte nicht anders. "Lass uns Kontinente aufs Laken machen", schlug er vor. Sie begannen mit Australien (problemlos in einer Nacht erledigt) und steigerten sich über Afrika (was schon zwei Tage dauerte) auf Südamerika. Der Subkontinent verbrauchte drei Laken und vier Tage Anstrengung, weil Aigen, die von Geografie keine Ahnung hatte, die Anden nicht richtig hinbekam. Auf Europa, das etwas zu kompliziert erschien, wurde ebenso verzichtet wie auf Nordamerika, da Rochen die USA so hasste, dass er sie nicht einmal scheißen wollte. Blieb also nur noch die größte Herausforderung an Körper, Geduld und Kreativität: Asien. Das neue, schneeweiße Laken schrie förmlich danach. Rochen und Aigen versorgten sich mit ausreichend Essen und Getränken und nutzten das Wochenende. - Donnerstag, 5. November 1981
Relativ bescheidener Beginn mit dem Kaukasus (zwei Pizzen, mittelbraun), der arabischen Halbinsel sowie einem Teil des Nahen Ostens (Bier, hellgelb). - Freitag, 6. November 1981
Große Annäherung dank ganz Sibirien (diverse Fruchtsäfte, grün) sowie Indien und Südostasien (Pfefferminztee, dunkleres Gelb). Keine Gebirge. - Samstag, 7. November 1981
Der Durchbruch: Himalaja und Karakorum (unzählige Brote mit kaltem Schweinefleisch, dunkelbraun), Andeutungen von Japan und Indonesien (Kaffee, hellgrün) sowie der Wüste Gobi (Vitamin-C-Tabletten, knallgelb) vollenden den Kontinent, dem jetzt nur noch die Großstädte (rote Punkte) fehlen. - Sonntag, 8. November 1981
Aigen erwartet den Beginn ihrer Periode. Entgegen der Abmachung stehen beide auf. Rochen verlässt abends sogar die Wohnung. - Montag, 9. November 1981
Keine Veränderungen, keine Periode, Rochen lehnt Aigens Vorschlag, sich durch Verletzungen zu behelfen, als nicht regelkonform ab. Es kommt zum Streit. - Dienstag, 10. November 1981
Endlich: Aigen hat ihre Tage! Nach einer kurzen Auseinandersetzung, ob wirklich jede asiatische Millionenstadt aufs Laken muss (Rochen zeigt sich gnädig und verlangt nur die wichtigsten Metropolen), kämpft sie sich Land für Land vor. Unentwegt mit dem Hintern wackelnd steht sie breitbeinig auf dem Laken. Nach drei Stunden kann sie sich, inzwischen sehr erschöpft, an der Wand abstützen, da nur noch Japan am Kopfende des Bettes fehlt. Rochen hilft ihr und schüttelt sie mehrmals kräftig. Mit Erfolg: Tokio, Osaka, Kobe, Yokohama! Geschafft!
© Skarabæus Verlag, Innsbruck-Bozen-Wien
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LITERATUR FINDET STATT
Eigentlich hätte der jährlich erscheinende Katalog "DIE LITERATUR der österreichischen Kunst-,...
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