As you undermine our security,
we undermine yours...
Bienenfeld ruht sich aus. Er ist erschöpft. Er hat keine weiteren Fragen. Er hat Angst. Das ist es. Kleiner. Am Kleinsten. Der, der er einmal gewesen ist, fürchtet sich. Auch und gerade heute noch. Verletzungen klingen nach, sie leben weiter. Es ist, als müsste er sich abschalten, um seine Furcht lahm zulegen.
“Immerzu hast du Angst“, sagt die Stimme seines Vertrauens. Er weiß es, und er schämt sich dafür.
Ich wünsche niemandem meine Sackgassen und Wiederholungen.
Ein Geschwisterpaar, zum Stillstehen angehalten, Hand in Hand vor dem kürzlich begrünten Gartenhaus. Beide haben sie die Gesichter alter Leute. Der Junge im dunklen Anzug, mit Seitenscheitel. Seine Augen, zusammengekniffen. Seine Lippen, zusammengepresst. Das Mädchen, im weißen Kleid, mit hochgestecktem Haar samt geflochtenem Blumenkranz. Das Lächeln gelingt auch ihm nur mit Mühe. Ihr Gesicht, pausbackig, ihre Augen geschwollen, von dunklen Ringen umrahmt. Sie hält einen Blumenstrauß, fest umklammert, in der linken Hand.
Was sich anhäuft, schafft Distanz. Akkumulation von Vergangenheit drängt sich um mich.
Bienenfeld wäre lieber ein Schweizer Großunternehmer mit Gesellschaftskorsett als ein wohlhabender akademischer Stubenhocker, ein parasitärer Geist ohne Hoffnung.
Ein Damoklesschwert baumelt über mir, begleitet mich überall hin.
Die Menschen außerhalb meines Arbeitszimmers haben Erfolg. Sie haben keine Zeit an etwas anderes als ihren Erfolg zu denken. Ihre Terminpläne sind voll, ihre Tage ausgefüllt. Sie verstehen es, ihre Möglichkeiten zu nutzen.
Was für Stress so ein geglücktes Leben doch bedeutet. [Ein Satz geschrieben auf eine leere Zigarettenschachtel; Muratti.]
Eine Kaffeejause im Garten; die Großeltern haben Besuch.- Ein altes Paar wirkt fremd in der Runde. Die Beiden sind anders als die anderen. Ihre Gesichter, jung geblieben, offen, erzählen von einem Leben, das sie nie führen konnten. Das, was viel zu rasch vorübergeht, schon wieder vorbei ist. Das, was niemals war. Und das, was nicht mehr sein wird.- Von wegen, gleiche Chancen für alle.
Mit der Straßenbahn geht es vorbei an Häusern, Straßen, Gassen, Plätzen.
Graue Gesichter, vergessene Momente. Unerlaubte Gefühle.
Bienenfeld steckt in einem Selbst, das sich zusammensetzt aus vergangenem Schmerz. Da bewegt sich nichts. Alles ist festgefahren, so scheint es. Verhärten und auskühlen, Verharren und Auflösen. Es ist immer dasselbe, die Taubheit seiner Gefühle, die Kälte seines Empfindens.
Nichts gegen Pessoa, aber Das Buch der Unruhe beschreibt meinen Zustand auch nicht annähernd, schreibt Bienenfeld in seinem Journal . [Rotweinspuren, Schweißflecken. Vermutliche Datierung: 1998/02]
„Jede Menge Taktik, aus Verzweiflung. Nur ja nicht hier leben, im Jetzt“, sagt die Stimme seines Vertrauens.
Lieber vor. Lieber zurück. Einfach nur anderswohin. Und alles bestätigt mein Vorhaben der Inszenierung der Gefühle. Freunde, Bekannte, Bücher. Kunst und Freizeit; Alltag und Staat. Wenn sie kommt, beißt sie sich fest. Die Traurigkeit, die Verzweiflung.
Jetzt rumort es in ihm. Abgeschottet liegt er da, in einem viel zu kalten Sommer. In menschenleeren, von Traurigkeit und Melancholie besetzten Räumen.
Ein junger Mann in einem Zugabteil, zweite Klasse. Er hat die Mütze abgenommen, schläft. Er trägt eine runde Nickelbrille, einen schmalen Oberlippenbart. Über der linken Augenbraue klebt ein großes Pflaster. Er wird noch einige Stunden unterwegs sein. Er ist tot und wird sterben.
Keine Zeit verlieren, nicht einen Moment vergeuden. Jeder Augenblick müsste genutzt werden, sollte bewusst gestaltet sein!
Bienenfeld macht es sich nicht gerade leicht. Er bestreitet seine eigene Demontage, hartnäckig, ohne Unterlass. Erneut tritt er ein, in eine andere Welt. Eine weitere Verlängerung bis zum endgültigen Stillstand.
(S. 22-24)
© 2011 Ritter Verlag, Klagenfurt-Wien.