Aber was hatte er zugleich betreten, mit dem Tatort? Eine Bühne! Genau. Eine Bühne! Einen Ort szenischer Darstellung. Und vom ersten Augenblick an hatte ihn die Atmosphäre aus Kulissen und Rollenspiel eingefangen, und er hatte sich davon verleiten und unbewusst in eine bestimmte Richtung lenken lassen: zu Figuren, zu Darstellern, zu Theatermenschen, zu Künstlern, vor der Bühne und hinter der Bühne. Und er, Merana, hatte diese Bühne, vom ersten Schritt an, als er an die Leiche herangetreten war, in Wirklichkeit nie verlassen. Dabei hätte er nur auf sein Gefühl achten sollen. Was war ihm an diesem Tatort sofort aufgefallen? Und später auch noch einige Male? Es war alles z u t h e a t r a l i s c h !
Viel zu theatralisch. Unecht! Schlecht inszeniert! Übertrieben war ihm alles vorgekommen, als Hackner da lag, den Dolch in der Brust, der nicht einmal das Original war, sondern eine Kopie. Die Hände gefaltet. Und dann auch noch ohne Schuhe. Für die verschwundenen Schuhe mochte eine übel gelaunte Schicksalsgöttin gesorgt haben, die auch die Verantwortung dafür übernehmen sollte, dass dies einem armen Obdachlosen schließlich das Leben gekostet hatte.
Aber jetzt sah Merana klar. Jetzt stand er nicht mehr auf der Bühne, jetzt befand er sich nicht mehr inmitten eines Theaterraums. Zumindest nicht mehr in diesem.
Von Anfang an waren die Hinweise da gewesen und er hatte sie nicht bemerkt. Die meisten wurden ihm unabsichtlich in den Weg geworfen, aber er hatte sie nicht deuten können.
(S. 353, 354)
© 2010, Gmeiner-Verlag, Meßkirch.