Manchmal rede ich mit dem Hirten, der keine Sprache hat und mit dem auch sonst wenig anzufangen ist (er geht ja in der Früh mit den Schafen los und kehrt erst am Abend heim). Manchmal lade ich ihn zu mir und zum Essen ein. Es scheint ihm zu schmecken, aber er bleibt nie lange. Meistens schläft er früh. Manchmal sitzen ein paar Freunde um sein Feuer, kleine, magere, tiefschwarze, von denen ich nicht weiß, wann und woher sie gekommen sind. Trotzdem sind das keine sauvages, sie tragen Hemd und Hose, die meisten haben Schuhe, einer trägt ein Leibchen von der UCLA, der University of California at Los Angeles....weiß der Teufel, von wem er es bekommen hat.
Ich habe einige Male versucht, mit den Besuchern des Hirten ins Gespräch zu kommen. Sie nicken. Sie murmeln etwas in ihrer Sprache, die mit Bushman verwandt sein muss- ähnlich, wenn auch deutlich seltener dieses Klicken, das Schnalzen der Zunge gegen Zähne und Gaumen, das den Eindruck vermittelt, es stecke in dem, was sie erzählen, viel mehr als wir fassen können-, dann wenden sie sich ab, nicht unhöflich, sondern eher so, als fürchteten sie, mit einer gefährlichen Krankheit in Berührung zu kommen. Ich bin mir sicher, dass es nicht persönlich gemeint und nicht gegen mich gerichtet ist; wenn ich ihnen Zigaretten anbiete, greifen sie ohne Zögern zu.
Vielleicht fragen Sie sich, was mich in diese Einsamkeit getrieben hat. Nun, die meisten Männer wählen den einfachen Weg: sie lernen etwas, dann arbeiten sie, sie verloben sich, sie heiraten, sie zeugen Kinder und verbringen den Rest ihrer Zeit in einem Zustand latenter Unglückseligkeit... Ich hingegen habe mich für das Werk an sich entschieden, und weil jedes bedeutende Werk verlangt, dass alle Kräfte zu konzentrieren und alle Ablenkungen zu vermeiden sind, zu welchen ja vor allem, wie Sie als angehende Philosophin wissen, die Verlockungen des Geschlechts gehören, musste ich mich in diese Einsamkeit begeben. Es ist ein innerer Zwang. Geht es mir gut dabei? Seltener war ich glücklicher als jetzt und hier.
Irgendwann?
Heute hat sich der Hirte besonders albern benommen. Ich herrschte ihn an. Er verschwand, um wenig später wieder aufzutauchen, mit einem Fetzen Papier. Es war eine vor dreiundsechzig Jahren von einem evangelischen Missionar ausgestellte Urkunde: Ein Sechsjähriger war auf den Namen Christo Gerdula getauft worden. Endlich begriff ich.
Christo!
Er lallte und lachte. Christo! Dann rannte er in seine Hütte, kam gleich wieder zurück und schenkte mir einen hübschen Kristall, den er wohl selber gefunden hatte. Ich gab ihm die Postkarte von den Victoria Falls und einen Kugelschreiber. Wir tranken den letzten Whiskey, ich sagte einige Male Christo! Christo! Er nickte begeistert. Also hat er einen Namen, also ist er ein Mensch....
Jetzt sitze ich auf dem Gipfel des Gebirges- ich bin, ich weiß nicht, ob ich es Ihnen schon mitgeteilt habe, ein passabler, ein guter Kletterer. Und mindestens dreitausend Meter über dem Meer. Der Ausblick ist fantastisch. Auf der einen Seite liegt eine ungeheure Ebene, die von kleinen Tafelbergen akzentuiert wird. Auf der anderen Seite des Gebirges, auf der Seite von Omombo also, reihen sich Hügel an Hügelzüge, durch die das breite, trockene Bett eines mächtigen, wasserlosen Flusses mäandert. Ich möchte wissen, wo dieser Fluss beginnt und wo er endet. Vor allem möchte ich wissen, wann hier so viel Wasser sein soll, dass sich das Flussbett damit füllt. So weit das Auge reicht: nirgends Spuren von Zivilisation. Nur dieses Endlose, das über den Horizont hinausreicht bis dorthin, wo vielleicht keine Welt mehr ist.
(S. 136-138)
© 2012 Czernin-Verlag, Wien.