|
 |
|
Hier saß ich, auf der Zunge Tokyos, im Speichel der Stadt, und leckte daran, während neben mir ein junges Mädchen Platz nahm – nein, zwei junge Mädchen waren es gewesen. Ich atmete ihre Jugend. Und roch den Gestank meines Alters zugleich, und schmeckte, wie sich alles vermischte, mehr und mehr durcheinander mischte, zu stinken begann. Augennachtschatten, Wortgreifvögel, die Geier, die Aasgeier der Sprache (Geier = Schriftsteller, Aasgeier = Verleger). Ein Menschenkessel, draußen, vor der Scheibe, hinter dem Glas. Und ein Wortkessel, woher ich komme; ein österreichischer Fettwurstwortkessel. Auf der anderen Straßenseite – Gaien Higashi Dori – ein flugzeugsilbrigfarbener Hauskasten (Motown House Tokyo 2, kleine verdreckte, blinde Fenster, nervös um sich schlagende Reklametafeln: Planquadrat 4F, Spicy Café, Garlic Restaurant). Ach, die Altersgeilheit; wenn die erst einmal zwischen den Schenkeln zu reiben anfängt, dachte ich auf dem Hocker, vor der Scheibe. Und die beiden Mädchen waren gegangen. Und eine andere, eine nicht mehr ganz so junge Frau erschien. Sie sah mich kurz an. Ein schneller Blick und sofort sah sie zu Boden. Auch ich schaute augenblicklich beiseite. Was machte ich hier? Weshalb war ich überhaupt hierhergekommen? In diese Stadt; in dieses riesige Menschengewächshaus? Wozu? Wofür? Weswegen denn? Meiner mittelmäßigen Schreiberei wegen? Ach... ja... (ach, nein). Nichts hätte ich schreiben sollen. Niemals auch nur eine Zeile. Nie hätte ich mich um das Gepolter in meinem Gedankenhaus kümmern dürfen, um das Geschrei in meinem Schädel. Ich hätte mich hinsetzen sollen und warten sollen, bis alles sich gelegt, und also vorüber gewesen wäre, dachte ich auf dem Hocker vor der Scheibe. Sich hinsetzen und warten und warten. Und wäre über mein Warten letztendlich dann doch dort gelandet, wohin ich mich nicht hätte hinbegeben sollen. Von der Tonfolgenerzeugungsmannschaft und natürlich der Tonfolgenerzeugungsfrauschaft wechselte ich – weiß der Himmel, was mich letztlich dazu bewogen – hinüber in die Sprachniederbringungsgemeinschaft; von den publikums- und also zuhörerschaftsgeilen Instrumentenbetreibern zur leserscharsüchtigen, öffentlichkeitswütigen und gesichtswäscheverliebten, weil unendlich aufmerksamkeitsbedürftigen Wortmaschinistenmannschaft und Wortmaschinistenfrauschaft. Ich habe die Unerträglichkeit eines Musikerzeugers mit der Unerträglichkeit eines Wortanhäufers vertauscht. Stets schon spülte mich das Leben dorthin, wohin es mich nicht hätte hinspülen sollen, nämlich in die Nähe des Unerträglichen; (S. 9 f)
© 2009 Dittrich Verlag, Berlin.
|
|
|