So wenig ich über die Herkunft meiner Ideen weiß, so genau kenne ich die Entwicklung, die ich mit ihnen nehme, wenn ich mich einmal dazu entschlossen habe, aus ihnen einen Roman zu machen. Zunächst tue ich nämlich gar nichts. Das hat zum einen damit zu tun, dass ich ein fauler Mensch bin, vor allem aber geht es mir darum, eine Idee wachsen zu lassen. Ich rede nicht darüber, ich erzähle sie niemandem, ich beratschlage mich nicht mit Freunden oder meiner Lektorin, ich lasse sie sacken und warte ab, was passiert. Manche Ideen verblassen, aus ihnen wäre kein guter Roman geworden. Manche werden größer, stärker, nehmen mich mehr und mehr gefangen. Das ist der Punkt, an dem ich etwas unternehmen muss. Bei manchen Romanen weiß ich schon im Vorhinein, dass es zwar möglicherweise auch beglückend sein würde, sie zu schreiben, dass sie mich aber auch mit Abgründen konfrontieren werden, und das bedeutet Unannehmlichkeiten.
Auf diese Weise vergehen Wochen, gelegentlich auch Monate. Ich sammle Material. Ich sitze in Cafés, in der Straßenbahn, im Auto, und mir fällt etwas ein. Ich liege vor dem Fernseher, ich lese, ich streite mich mit dem Nachbarn, und mir fällt etwas ein. Ich sitze beim Zahnarzt, stehe im Supermarkt, spiele mit meinem Sohn Fußball, und mir fällt etwas ein. Ich bin kurz vorm Einschlafen, mir fällt etwas ein. Was immer ich tue, ich unterbreche diese Tätigkeit, selbst das Einschlafen, so schwer das auch manchmal ist, fingere mein iPhone aus der Schutzhülle und tippe den Gedanken in den Notizspeicher ein. Früher ging das noch auf herkömmliche Weise vor sich, da kritzelte ich meine Eingebungen auf einen Zettel, den ich zu den anderen in die Hosentasche steckte. Was oft zur Folge hatte, dass ich später - es vergeht durchaus einige Zeit zwischen der Niederschrift eines Gedankens und dem Wiederlesen - nicht mehr entziffern konnte, welcher Geistesblitz mich da durchzuckt hatte, und ich frage mich seit Jahren, ob das Regal mit meinen Romanen, das ich zuweilen in Phasen schwerer Selbstzweifel betrachte, um mich zu vergewissern, nicht alles falsch gemacht zu haben im Leben, nicht deutlich anders aussehen würde, hätte eine weniger geheimnisvolle Schrift.
S. 53f.