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Elias Canetti: Komödie der Eitelkeit

Sprecher: Elias Canetti
Spielzeit: 63:15 Min.
ISBN 3-455-32001-5
Hoffman und Campe 2002

"Ich glaube nicht das es notwendig ist, einen der wichtigsten Dichter deutscher Sprache, der heute wirkt und lebt vorzustellen." Im ersten Track dieser Produktion des Norddeutschen Rundfunks aus dem Jahr 1970 wird Elias Canetti von einem anonymen Sprecher unter häufigem Einsatz von "Ähs" vorgestellt - seine Bedeutung wird gönnerhaft kommentiert, untergründig wird ihm sein schmales Oeuvre vorgehalten, er wird gelobt, weil er aus dem Faschismus seine Lehren gezogen, jede Gattung "erfüllt" hätte, und schließlich wird ihm nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen Ratio und Irrationalismus und der Umschlag in Gewalt zu seinen Zentralthemen gehören. Der Text ist nicht frei von Redundanz, und da er immerhin nahezu acht Minuten währt, entsteht beim Zuhören ein ungeheurer Verdacht: hat Canetti, der hinterlistige Parodist, hier einen eitlen und nicht so wirklich informierten Literaturfunktionär parodiert? Das karge, achtseitige Booklet bestätigt scheinbar den Verdacht: es nennt als Sprecher nur Elias Canetti und spricht am Umschlag gar von einer "persönlichen Einführung". Das stimmt wohl alles nicht, hier hat sich - wie bei vielen Hörbüchern aus den Archiven von Rundfunkanstalten - wieder einmal eine Verbindung aus Schlamperei, Faulheit und Inkompetenz breitgemacht: das Band wurde offensichtlich nur auf seine technische Qualität abgehört, irgend jemand hat unter völligem Ignorieren der Tatsache, dass im ersten Track ein deutscher Sprecher über Canetti und die österreichische Literatur spricht, angenommen, dass sei Canetti selbst und hat das dann im Booklet verkündet. Und das ist schade, denn der anonyme Redner mit seinen nach dem heutigen Wissenstand überflüssigen Ausführungen zu Canetti stellt sich zwischen die CD und die Neugier des Hörers auf Canetti. Also ein Tip für HörerInnen: beginnen Sie bitte mit Track 2.

Da kommt er nämlich endlich selbst. Canetti liest aus dem ersten Teil seiner "Komödie der Eitelkeit", dem Stück, in dem eine Regierung die Eitelkeit verbietet und alle Spiegel zerstören lässt. Selbst wenn man einräumt, dass Canetti das Personenregister verkürzt - etwa um die sechs kleinen Mädchen - unternimmt er etwas fast unmögliches: er liest alle Rollen inklusive der Regieanweisungen selbst. Es gibt mehrere solcher Projekte, am bekanntesten ist wohl Qualtingers Fassung der "Letzten Tage der Menschheit", aber der professionelle Schauspieler Qualtinger verfügt über ein breiteres Spektrum an stimmlichen Möglichkeiten zur Darstellung sozialer Typen: er schreit und flüstert, er spricht zwischen dem meidlingerischen und dem norddeutschen eine Unzahl von Dialekten und springt sozusagen zwischen den Idiomen der gesellschaftlichen Gruppierungen von den Offizieren bis zu den Greißlern. Verglichen mit Qualtinger agiert Canetti, dessen stimmliches Volumen um einiges geringer ist, fast bewusst minimalistisch und "entdramatisiert" den eigenen Text - von einigen Ausnahmen abgesehen, wenn er etwa das einzige Kind der Familie Kaldaun das Feuer bewundern oder das Hausmädchen gegen den Vorwurf schlecht gebügelter Hosen protestieren lässt. Das bedeutet aber nicht, dass er als Leser eigener Texte sozusagen "antischauspielerisch" wirkt, im Gegenteil, was ein Handicap sein könnte, verwandelt Canetti in einen Vorzug. Gelegentlich, vor allem in den die Handlung sozusagen begründenden Eingangsszenen, bedient er sich stimmlich einer äußerst feinen Nuancierung und dennoch gelingt es ihm, die Personen nicht nur unterscheidbar zu machen, sondern ihnen auch ein persönliches Profil zu geben. Allmählich - im Zuge des "Festes" der Verbrennung der Bilder - steigert sich die Problematik und Canetti findet einen sehr eigenartigen, höchstpersönlichen Weg diese Steigerung stimmlich zu vermitteln: er zischt, flüstert und wechselt die Sprechtempi. Wenn er sich um "Ausdruck" bemüht, dann gibt es in seinem Leseverhalten drei "Archetypen", die alle eine innerfamiliäre Dimension haben: die Autorität, das sorgend Weibliche, den Untertan, der ratlos ist oder sich herausredet - "Vater, Mutter, Kind".

Die CD vermittelt eine wichtige Begegnung mit Elias Canetti, sie zeigt auch, wie viel er von den Vorlesungen seines ambivalenten Lehrmeisters Karl Kraus gelernt hat. Wer die "Komödie der Eitelkeit" nicht kennt, sollte sie allerdings vorher lesen - die Auswahl, die Canetti getroffen hat, ist nicht sehr aussagekräftig und das Booklet stellt keine große Hilfe dar.

Originalbeitrag

Alfred Pfabigan
8. Juli 2003

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