logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   

FÖRDERGEBER

   Bundeskanzleramt

   Wien Kultur

PARTNER/INNEN

   Netzwerk Literaturhaeuser

   arte Kulturpartner
   Incentives

   Bindewerk

kopfgrafik mitte

Paul Celan: Ich hörte sagen: Gedichte und Prosa

Autorisierte Lesefassung
2 CDs ca. 100 Min.
ISBN 3-89940-450-5
München: der hörverlag, 2005

Paul Celans Lyrik befasst sich vor allem mit den Bedingungen des Verschwindens von Sprache, mit der Frage nach Notwendigkeit oder Irrelevanz von Rede im Angesicht des Verlöschens von Individualität, Leben, gesellschaftlichen Sicherheiten. Celan mag da den Holocaust und seine Vorgeschichte - bis hin zu den revolutionären Klassenkämpfen der Weimarer Zeit in Deutschland - vorderhand meinen, doch fast jeder der Texte betrifft weit mehr als ihn. Die industrielle Auslöschung von Leben wurde so, als durchgängiger Hintergrund, zu einer Erfahrung, die der Welt als Bedingung angehört: In dieser Hinsicht ist Celans Poesie einer der wenigen plausiblen Entwürfe einer deutschsprachigen Literatur für die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Weit entfernt sind die meisten auf dieser Doppel-CD versammelten Gedichte - wie auch die meisten im gesamten Werk des Dichters - von der Melodielastigkeit und exzessiv eingesetzten Synästhetik der "Todesfuge", jenes Gedichts, mit dem der junge, als Dichter noch nicht voll gereifte Celan den Schrecken der Konzentrationslager eine Sprache zu geben versuchte. Viel spröder ist das meiste hier, viel knapper, stets einige Schritte vor oder hinter dem Grauen, viel verwickelter in Nuancen. Nuancen zwar, die sich zu himmelhohen Kontrasten auswachsen, wenn man sie entschlossen genug weiterdenkt, aber dennoch Nuancen: Klangliche, lexikalische, "psychologische", inhaltliche Nuancen. Sie sind es auch, die die Leseerfahrung bestimmen, wenn jemand sich aufmacht, das Werk des Hermetikers genauer kennenzulernen. Intellektuell erfassbar ist wohl, mit einiger Mühe, mit oftmaligem und lautem wie stummem Wieder-Lesen, was der Interpret gedacht haben mag, der von Celans Thema gesprochen hat als von der "Erlösungsbedürftigkeit des Menschen" mit all ihren Implikationen im Angesicht einer stattgehabten Aufklärung.
Doch wie sehr jedes der knappen, spröden Gebilde Celans auch noch der Bezeichnung "Lieder" verpflichtet ist (ich denke an die Zeilen aus "Fadensonnen": "Es sind / noch Lieder zu singen jenseits / der Menschen."), erschließt sich dem Rezipienten aus solcher Lektüre nicht. Dafür bedarf er des Vortrags, am besten (wie im Fall auch jeden anderen Gedichts) in der Stimme des Autors.

Keiner der Texte auf der Doppel-CD des hörverlags, die mit Rundfunklesungen Celans aus der Zeit von 1954 bis 1967 auch einige Entwicklungsschritte in seiner Vortragsweise umfasst, ist für mich nun, nachdem ich sie von ihrem Autor selbst gehört habe, fundamental anders oder auch einfach neu zu interpretieren. Wohl aber ist eine Ebene des Verstehenkönnens hinzugetreten, der zwar mitnichten "Unmittelbarkeit" eignet, aber "Musikalität" eben sehr wohl (daß das zweitere das erstere impliziere oder auch nur begünstige, scheint mir genau in jene Welt kunstweltlichen Aberglaubens zu gehören, die - und auch darauf weisen Celans Texte uns - mit den expressionistischen, symbolistischen oder neoromantischen Tendenzen der Zwischenkriegszeit untergegangen ist). Auch der - bei der ersten Lektüre - sprödeste Zehnzeiler ist nun, soweit es seinen rythmischen Aufbau betrifft, als Musikstück mitzudenken.
Nicht ratsam ist es aber, die CDs zu hören, ohne die entsprechenden Gedichte auch zur Lektüre parat zu haben. Das Eigentliche dieser Texte ergießt sich nicht in etwaigen Assonanzkaskaden über den Hörer. Wohl klingt in ihnen etwas, und Celans Lesestil vermag es, dieses "etwas" deutlich und im Einzelfall konkret zu machen, doch was da klingt, hat Bezug zu jenen inhaltlichen Ebenen der Gebilde, die "hermetisch" verschlossen sind, die nicht deutlich werden, wenn nicht genau gelesen wird, wobei "genau" hier auch bedeutet: Erheblich langsamer als die Tracks der Aufnahme sein können.
Damit ist auch der eine denkbare Kritikpunkt an der Produktion angedeutet: Zwar liegt eine ansprechende Inlay-Card vor, in der sich neben einer Biographie Celans auch ein Trackverzeichnis befindet, das zu jedem Text Aufnahmejahr und entsprechenden Gedichtband nennt, doch um entspannt ein Gedicht ums andere hören und nebenbei mitblättern zu können, wäre die Angabe einer Seitenzahl, bezogen etwa auf die dreibändige Suhrkamp-Werkausgabe oder eine andere Standardedition, möglicherweise wünschenswert. "Denkbarer Kritikpunkt", schreibe ich, und "möglicherweise", denn die faul-kontemplative Rezeptionsform ist wohl nicht die, die Celan angemessen ist, wie weit verbreitet zumal unter Hörbuch-Konsumenten sie sein mag. Verstehen wir die Veröffentlichung dieser Doppel-CD hingegen als Möglichkeit, einen Text immer wieder zu hören, während wir, das Buch vor Augen, seinen Verästelungen nachgehen, dann braucht dieses Fehlen kaum zu stören. An einigen Stellen weicht der Vortrag von Celans eher dünner Stimme mit ihrem altösterreichischen Zungenschlag (der sich etwa in seinem stark stimmhaften Binnen-S und in - für heutige Ohren - antiquierten Betonungsmuster äußert) vom gedruckten Text um Kleinigkeiten ab, ohne dabei den Interpretationsspielraum zu verändern. Dies war mir die prägsamste Erfahrung beim ersten Hören, und es mag sein, daß dies auch gilt für jene Literaturwissenschaftler, die es gerade bei Celan mit der Endgültigkeit des einzelnen Wortes oder Partikelchens oft noch genauer nehmen, als es ihnen ohnehin schon vom Text selber aufgenötigt wird.

 

Stefan Schmitzer
10. Jänner 2006

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Suche in den Webseiten  
Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
Junge LiteraturhausWerkstatt

Mo, 05.02. bis Mi, 07.02.2018, 15.00–19.00 Uhr Dreitägiger Schreibworkshop für...

Verleihung der Übersetzerpreise der Stadt Wien 2016 & 2017

Do, 08.02.2018, 19.00 Uhr Preisverleihung & Lesung Der mit € 3.700 dotierte Übersetzerpreis...

Ausstellung

Tipp
flugschrift Nr. 21 – MARK Z. DANIELEWSKI

Dem amerikanischen Autor Mark Z. Danielewski gelang es mit seinem Roman-Debut Das...

Incentives – Austrian Literature in Translation

Neue Beiträge zu Clemens Berger, Sabine Gruber, Peter Henisch, Reinhard Kaiser-Mühlecker, Barbi...