Es liest der Autor Lesung im Dezember 2003 im Grazer Café Promenade Spielzeit: 73:82 Min. Graz, Wien: Droschl 2004
Manche Hörbücher bieten die Möglichkeit in relativ kurzer Zeit einen fundierten Eindruck von einem umfangreichen Werk zu bekommen. So enthält die im Dezember 2003 im Grazer Café Promenade aufgenommene Lesung Antonio Fians Gedichte, Dramolette und Erzählungen - Beispiele aus immerhin fünf verschiedenen Büchern des seit beinahe dreißig Jahren in Wien lebenden Kärtners. Das Cover bildet diese Bücher aus dem Droschl Verlag ab, enthält aber sonst kaum nennenswerte Informationen. Immerhin zeigen aber die Zitate aus zustimmenden Rezensionen ("schwarzer Humor vom Feinsten" FAZ; "eine Instanz" Literatur und Kritik), dass Fian ein gutes Produkt ist.
Das stimmt zweifellos. Im Falle der CD gilt das in zweifacher Hinsicht. Zum einen sind die Texte, obwohl höchst artifiziell und in ihrer Form rundum gelungen, ganz nahe am so genanntem Leben. Zum anderen ist Fian ein begabter Interpret seiner Manuskripte, dem wir auch anhören, dass er es liebt, seine Stücke selbst vorzulesen. Lesetheater ist ja ein Begriff, der nicht bloß auf seine Dramolette zutrifft. Auch die Prosa und die Lyrik Fians sind in dieser Form der Darbietung ein Genuss. Das Kopftheater, das so entsteht, bringt die Leute zum Lachen, das dezent gemischt auf der CD nicht stört. Ohnehin ist Fian ja nicht zum Totlachen, sondern er erweckt vielmehr jenes Lachen, das gerade nicht in der Kehle stecken bleibt, oder das an der Freude, etwas entdeckt zu haben, entsteht. Denn die Kunst Fians besteht gerade darin, das Publikum etwas selbst (er)finden zu lassen, worauf die Kunst des Autors nur hingewiesen hat.
Das Personal der Lesung setzt sich Fian-typisch aus Schriftstellerkolleginnen (von Goethe und Schiller über Rilke bis Thomas Brezina), Vertretern der Öffentlichkeit (FPÖ-Nationalrat Gauck, Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat, Landespolitiker,...) und Vertretren der E-Wirtschaft, Tibetern, älterer Dame, Hund, Samurai ... zusammen. Fian spiegelt in seinen Stücken das gegenwärtige Österreich, ohne in die Falle des Provinziellen zu tappen. In einem Interview hat Fian behauptet, ihm liege nicht viel an Aktualität. So überrascht es nicht, dass die vorgetragenen Beispiele tatsächlich belegen, dass sie abseits der Aktualität gehört, gelesen und verstanden werden können. Ein Teil seiner Kunst ist es die Zustände so weit zu übertreiben, dass neue Facetten der Wirklichkeit deutlich werden. Antonio Fian stellt uns Hörerinnen und Hörer gleichsam ein Mikroskop zur Verfügung um Scherz, Ironie und tiefere Bedeutung zu erkennen. Ganz im Sinne von Günter Anders ist er ein Anhänger einer "Übertreibung in Richtung Wahrheit". Köstlich, wenn Peter Turrini bei der Staatsanwaltschaft die Skandalisierung seines neuen Stückes einfordert, der Heilige Hermann von Prinzendorf seinen Jüngern predigt, Thomas Brezina ahnungslos über Behinderungen schwadroniert.
Die erst gleichzeitig mit der CD in der Sammlung "Bis jetzt" erschienene Erzählung "Eltersprechtag" zeigt den fließenden Übergang von Prosa zum Dramolett. Fian weist hier übrigens auch, wie das heute üblich ist, auf seinen bisher einzigen Roman "Schratt" hin. Lustig gerade in so einem Text über den Literaturbetrieb zu reflektieren. Die Dichter und Dichterinnen sitzen heute in den Regierungen. Im Dramolett "Rilke bei Schüssel" fragt Rilke: "Sag mir Herr, aus welchem Grund sprichst du in Versen?" Schüssels Antwort: "Ohne Absicht, Rilke, ohne Absicht!". Damit solche Sachverhalte klar werden, braucht es Autorinnen und Autoren wie Antonio Fian. Elfriede Jelinek hatte gute Gründe ihren Kollegen der Wolfenbütteler Akademie, die Lessings Erbe verwaltet, zur Auszeichnung vorzuschlagen.
Helmut Sturm
30. August 2004