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Leseprobe: Lilian Faschinger - Die Unzertrennlichen.

Es blitzte und donnerte in immer kürzeren Abständen, doch kein Regentropfen fiel. Der Pfarrer segnete eilig das Grab, die Sargträger stemmten sich gegen den Wind und schwankten, während sie den Schrein in die Grube hinabließen. Dem Ministranten fiel das Weihwassergefäß aus der Hand, als er dem Pfarrer das Aspergill reichte. Ich hatte kein Bedürfnis zu weinen.
Hochwürden Wojcik warf ein bisschen Erde auf den Sarg. Als er meiner Großmutter, der Hexe, den Spaten weitergab, schlug der Blitz in das Werkzeug ein.
Während meines Medizinstudiums habe ich mir ein paar oberflächliche Kenntnisse über Blitze und Blitzunfälle angeeignet. Bei einem schweren Gewitter können sich innerhalb von Sekundenbruchteilen einige Millionen Volt an Spannung mit einer Stromstärke von mehreren hunderttausend Ampere über den Blitz entladen. Die Luft im Blitzkanal erhitzt sich auf etwa fünfundzwanzigtausend bis dreißigtausend Grad Celsius und dehnt sich dabei explosionsartig aus, was den akustischen Effekt des Donners erzeugt.
Was unmittelbar nach dem Einschlag geschah, weiß ich nicht mehr genau, denn ich wurde zur Seite geschleudert und fiel auf den Sarg meines Vaters, direkt auf das Blumengesteck aus Callas, weißen Lilien und cremefarbenen Gladiolen in seiner Mitte. Ich wollte aufstehen und aus dem Loch steigen, aber ich spürte meine Beine nicht mehr. Offenbar gaben sie nach, denn ich sank auf die Knie. Ich hörte laute Rufe und stützte mich mit den Unterarmen auf dem Grubenrand auf, um zu sehen, was vor sich ging. Mindestens zehn Personen, darunter der Pfarrer, meine Großmutter, der Mesner, ein Ministrant und meine Tanten und Onkel, saßen oder lagen auf dem Boden zwischen den Gräbern. Mein Großvater hockte neben meiner Großmutter und hielt ihren Kopf umfasst, der zweite Ministrant kümmerte sich um Hochwürden Wojcik, der kein Lebenszeichen von sich gab. Soweit ich erkennen konnte, hatte er keine Haare mehr, und ein Ärmel seines Pluviale war verbrannt.
„Eine Riesenfaust hat mich zu Boden gestreckt!“, rief Onkel Rudolf, der mit zerrissenen Schuhen auf dem Boden saß. „Eine Riesenfaust! Und seht euch meine Schuhe an.“
„Es ist ein Zeichen“, sagte Tante Beate, richtete sich auf und bekreuzigte sich. „Wir müssen Buße tun!“
„Noch nach seinem Tod macht er uns Schwierigkeiten, der Nichtsnutz“, sagte mein Großvater und tätschtelte die Wangen seiner Frau. „Toni, wach auf! Ich bitte dich, komm zu dir!“
Ein Mann drängte sich durch die aufgeregten Trauergäste und kam auf uns zu.
„Lassen Sie mich durch“, sagte er. „Bitte lassen Sie mich durch.“
Die Stimme kam mir bekannt vor.
„Ich sehe nichts mehr, ich bin blind, helft mir!“, schrie der Mesner.
„Was ist denn das?“, fragte der Ministrant und zeigte den Umstehenden seinen Unterarm, auf dem sich rote, verästelte Striemchen mit tropfenförmigen Verdickungen an ihrem Ende abzeichneten.
„Das ist die Lichtenbergsche Blitzfigur“, sagte ich und stand auf. Es ging mir besser, das Taubheitsgefühl in den Beinen hatte nachgelassen. „Typisches Merkmal. Sieht aus wie Farnkraut. Verschwindet aber bald.“
Der Mann war bei uns angelangt.
„Ich bin Arzt“, erklärte er. „Wer ist am schwersten verletzt?“ Dann sah er mich im offenen Grab stehen.
„Hallo Sissi!“, sagte er und grinste. „Auferstanden von den Toten?“
Da begann es zu regnen, heftig und von einem Augenblick auf den anderen.
So trat Stefan wieder in mein Leben.

(S. 19-21)

© 2012 Zsolnay Verlag, Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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