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Sabina Becker: Neue Sachlichkeit.

Bd 1: Die Ästhetik der neusachlichen Literatur.
Bd 2: Quellen und Dokumente.
Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2000.
437 S., 468 S.; geb.; DM 188.-.
ISBN 3-412-15699-X.

Neue Sachlichkeit - den Begriff kennt man hauptsächlich aus der Malerei und Architektur - hat in der Literaturwissenschaft bislang ein eher stiefmütterliches Dasein geführt. Zwar findet man in den meisten Überblicksdarstellungen den Begriff als vage Bezeichnung einer antiexpressionistischen Epoche, die vom Ersten Weltkrieg bis etwa 1930 reicht und der man meist nicht allzuviel Bedeutung beimaß. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Neue Sachlichkeit von einer liberal-bürgerlichen Bewegung getragen wurde und mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten kläglich gescheitert sei. Dazu kam, daß ästhetische Kategorien der Bewegung, wie man sie aus der Malerei kennt, auf das literarische "Pendant" übertragen wurden, ohne dessen gravierende Unterschiede zu berücksichtigen.

Die vorliegende, äußerst umfangreiche Untersuchung von Sabina Becker hat sich zum Ziel gesetzt, mit Vorurteilen dieser Art aufzuräumen und der Neuen Sachlichkeit in ihrer literaturhistorischen Bedeutung gerecht zu werden. Daß neusachliche Literatur nicht erst in den frühen Zwanziger Jahren quasi als Nebenprodukt einer Stabilisierungsphase der Weimarer Republik entsteht, sondern schon damals auf eine gewisse Tradition verweisen kann, belegt Becker anhand früher programmatischer Texte Alfred Döblins. In einem Brief an den Sturm-Herausgeber Herwarth Walden forderte der mit seinem Roman "Berlin, Alexanderplatz" wohl pronocierteste Vertreter der Neuen Sachlichkeit schon 1909 "mehr Bericht, mehr Kritik, - weniger 'Stil', weniger 'Dekoration'" und wendete sich damit gegen die Subjektivität des Expressionismus und das "Psychologisieren" in der Literatur. Dies bedeutet allerdings nicht, daß Döblin und seine neusachlichen Zeitgenossen an eine absolut objektive und neutrale Literatur geglaubt hätten, wie dies so mancher Kritiker behauptete.

Neben der Objektivität der Darstellung ging es den ,,Neusachlichen" weiters um den Gebrauchswert der Literatur, d. h. um Verständlichkeit und den gesellschaftlichen Nutzen für die breite Masse. Bemerkenswert ist, daß es in den Zwanziger Jahren eine Reihe von Werken - etwa von Kästner, Fallada oder Remarque - gegeben hat, die abseits einer billigen Massenkultur große Erfolge feiern konnten, womit die Forderung nach Gebrauchswert eindrucksvoll erfüllt wurde. Weitere Dimensionen neusachlicher Ästhetik, die Sabine Becker minutiös aufarbeitet: neuer Naturalismus, Nüchternheit, Präzisionsästhetik, Entsentimentalisierung, Dokumentarismus, Bericht und Reportagestil. Gerade im Vergleich zur Malerei gewinnt die Darstellung der literarischen Sachlichkeit Profil. Denn während im thematischen Bereich zwischen beiden einige Übereinstimmungen zu finden sind, so zeigt die literarische Bewegung in formaler Hinsicht deutlich progressivere Tendenzen. Die Malerei griff etwa vornehmlich auf "traditionelle Produktsformen" und "klassizistische Elemente" (S. 39f.) zurück, wohingegen sich die Literatur durchaus neuer Formen bediente, um "nützliche" Kunst zu produzieren. Zu sehen ist dies zum Beispiel anhand der dadaistischen Montagetechnik, die von der literarischen Neuen Sachlichkeit übernommen und instrumentalisiert wurde. Auch bei den Sujets sind Unterschiede zu finden. So findet man auf neusachlichen Bildern meist vereinsamte Individuen, während in der Literatur "die Darstellung des Kollektivs oder zumindest die Vorführung der Individuen als soziale Typen" (S. 40) dominiert.

Sabina Becker ist es in ihrer Darstellung gelungen, die bislang ungenaue Epochenbezeichnung Neue Sachlichkeit auf ein stabiles Fundament zu stellen und Vorurteile zu entkräften bzw. zu widerlegen. Ihr abschließendes Urteil: "In ihrem Versuch, der zeitgenössischen Lebens- und Erfahrungswelt adäquate Ausdrucksformen zur Seite zu stellen und die Strukturen und Mechanismen einer urbanisierten, hochkapitalisierten Industriegesellschaft mittels synchroner Aufklärungsstrategien zu hinterfragen, darf sie (die Neue Sachlichkeit) zweifelsohne als die Hochphase der Moderne gelten." (S. 365)

Übrigens: Für das genaue Studium ist der zweite Band mit Quellen und Dokumenten bestens geeignet. Er ordnet die Texte den jeweils darin postulierten ästhetischen Kriterien zu, womit eine begleitende Lektüre zu den einzelnen Kapiteln der literaturhistorischen Untersuchung erleichtert wird. Wer sich mit der literarischen Moderne beschäftigt, wird in Zukunft auf das vorliegende neue Standardwerk von Sabina Becker nicht verzichten können.

Peter Stuiber
31. Oktober 2000

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