Literaturbeilage Sie schreiben, alles ist weg. Kein Donner mehr. Kein Wind mehr. Kein Regen. Kein Insektensurren. Und das Ganze gipfelt doch darin, dass die Luft zum Atmen weg ist.
Wolf Haas Ja. Die Luft ist weg.
Literaturbeilage Sie schreiben das aber nicht ürgendwie metaphorisch oder so. Sondern das wird ganz real behauptet. Die Luft ist weg. Natürlich gibt es dahinter auch eine Ebene, wo man vielleicht an das Asthma seiner Mutter denkt.
Wolf Haas Nein, das Asthma war ja nur eingebildet. Vorgetäuscht eigentlich.
Literaturbeilage Dagegen wird hier der realistische Anspruch sogar noch betont durch diese pseudowissenschaftliche Assoziation, wenn Sie wörtlich schreiben: "Die Alpenluft, die wir gerade noch in unserer Atemlosigkeit gierig eingesaugt hatten, die gesunde, rote Blutkörperchen erzeugende Höhenluft, mit der wir unsere Sauerstoffschuld begleichen wollten, die ganze gute Luft hatte sich einfach zusammengeballt und entfernt."
Wolf Haas Was glauben Sie, wie sich das anfühlt, wenn so ein Gewitter fünf Sekunden überspringt! Gerade war es noch zwei Kilometer entfernt, und auf einmal.
Literaturbeilage Man nimmt es natürlich insofern doch auch als hyperbolische Darstellung wahr -
Wolf Haas Nicht hyperbolisch!
Literaturbeilage Lassen Sie mich das mal kurz sagen. Man liest es natürlich auch - Sie unterbrechen mich immer gerade dann, wenn ich Ihnen ein Kompliment machen will. Ich finde das ja wunderbar, wie sich diese Parallele zu der Anfangssequenz mit der Luftmatratze ergibt.
Wolf Haas Jetzt hab ich auch einen mystischen Moment. Oder zumindest ein Blackout. Einen Stromausfall. Ich weiß nämlich ehrlich nicht, was Sie meinen.
Literaturbeilage Na, wie die Luftmatratze bei der Anreise die Luft aus dem Autoinneren saugt.
Wolf Haas Ach so. Aber da sind hundert Seiten dazwischen. Obwohl - das ist eigentlich super, was Sie da sagen! Vorne saugt die Luftmatratze die Luft aus dem Autoinneren, und jetzt saugt das Wetter die Luft aus der Landschaft.
Literaturbeilage Also ich bin jetzt nicht sicher ob Sie mich verarschen oder was.
Wolf Haas Ich will mich ja nur nicht mit Ihren Lorbeeren schmücken. Mir gefällt das total gut, dass Sie das zusammentun. Aber vielleicht muss man sich beim Schreiben wirklich in eine Art künstliche Verblödung - da wären wir wieder beim mystischen Moment. Aber lassen wir das. Im Moment kann ich's selber nicht recht glauben, dass mir das nicht aufgefallen ist.
Literaturbeilage Herr Haas, Sie sind doch kein naiver Autor. Sie geben sich zwar gern so ein bisschen östreichisch-dumm. Aber Sie können doch nicht vorne fünf Seiten über Luftmatratzen schreiben, die die Luft aus dem Autoinneren saugen, und dann so tun, als wäre nichts, wenn Sie seitenlang beschreiben, wie, bevors dann endlich runterkommt, die Luft aus der Landschaft abgesaugt wird. Sie beschreiben das ja nicht mit einem Satz oder so. Da bleibt einem ja würklich beim Lesen die Luft weg. Sie schildern, wie die beiden Verliebten ein paar Meter hinter der Stromautobahn anhalten und sich, bevor sie den steilen Anstieg in Angriff nehmen, noch einmal umdrehen und in das nicht mehr verlöschende Licht blicken und -
Wolf Haas Sie sagen immer "die Verliebten". Das kommt im ganzen Buch nicht vor.
Literaturbeilage Und dann schreiben Sie, wie alles verstummt und verschwindet, sogar die Luft, in der die beiden - also nicht "Verliebte" zu sagen, wenn man weiß, was auf die beiden zukommt, wäre doch ürgendwie künstlich - in der also die beiden Verliebten stehen. Und der Text holt da würklich sehr, sehr weit aus, es erinnert auch stilistisch stark an die etwas überhöhte Luftmatratzenpassage. Ich lese Ihnen das mal vor.
Wolf Haas Nein, ich weiß schon, was Sie meinen.
(S. 105-107)
© 2006, Hoffmann und Campe, Hamburg.