Was ist es, was war das, wovon Anton da seine persönlichen Essenzen festgehalten hat? Ein großes Lesen. Ja. Ein großes Lesen und auch ein kleines Lesen – Überblick und Detail, Eindringen und Vogelperspektive, konkret und beispielhaft, beschreibend und erklärend. Philosophie, Roman, Tagebuch liegen hier auf kleine Zettel destilliert nebeneinander. Das Schreiben ist ebenso ein Thema wie das Denken, das Schreiben-Können und das Denken-Können. Und die Sprache ist die Grundlage für beides, als die große, vielleicht die einzige Grundlage, in der Welt sein zu können.
Die Notizen zu den einzelnen Themen zeigen Verdoppelungen, eher Schichtungen. Wie ein Gedankenfächer sieht für Sophie aus, was hier auf dem Tisch liegt. Es lässt sich sinnig ineinander schieben und auseinander legen und verliert doch den Zusammenhang nie ganz. Sophie beginnt, die Zettel zu verschieben, einander zuzuordnen. Sie kommt sich vor wie eine Spielerin in einem geheimnisvollen, sinnstiftenden Spiel. Dann wieder erinnert sie ihr Tun an die Trickspieler, die unter Bechern mit geschickten, flinken Händen eine Bohne verschieben. Niemand wird sie finden – außer ihr. Doch Sophie will niemanden täuschen, sie schiebt sich selbst die Bohne, schiebt sich Antons Notate als Botschaften zu und nimmt seine Aufregung als Leser in sich auf. Sie will sich die Botschaften anverwandeln – das große Wort scheint genau zu passen. Sie will Anton kennen, neu kennen und ihre Beziehung zu ihm auch kontinuierlich neu sein lassen wie Anne Michaels ihr das empfiehlt. Plötzlich scheint die Ordnung zu stimmen. (S.120f.)
© 2010 Braumüller Literaturverlag, Wien.