Hausmusik (1930er)
Im oberen Stock beim Großvater Stockhammer, der ein absolutes Gehör hatte, herrschten Klassik und Romantik, im unteren Stock beim Vater ertönten die Volksflöten. Ich galt als unmusikalisch und war dispensiert. Doch das krampfhafte Zusammenspiel zweier Blockflöten, die sich stotternd um eine jener als Volksmusik bezeichneten Melodien bemühten, begleitete trübselig meine Kindheit. Dieses ideologisch gepflegte Liedgut hängt mir seitdem zum Hals heraus: eine verstümmelte Kunst, sei sie nun bäurisch oder urban veredelt - in meinen unmusikalischen Ohren ist sie genau so mit Ekel belegt wie die Verse:
Es geht eine helle Flöte
Der Frühling ist über dem Land
Mein Großvater, der als Amateursänger Preise errungen hatte (wovon die Gravierung einer goldenen Taschenuhr Zeugnis ablegte), hatte mit Bruckner musiziert, und dieser soll einmal zu ihm gesagt haben: "Brav, Stockhammer." Darauf war er besonders stolz, obwohl er die symphonische Musik Bruckners im Prinzip ablehnte. Vor den ideologischen Volksblockflöten hatte er überhaupt keinen Respekt.
Es nimmt nicht wunder, dass bei solchen Diskrepanzen zwischen den Stockwerken eine ständige Spannung herrschte, die nur meine Mutter, als Haustochter, zu überbrücken vermochte. Da sie sowohl Blockflöte als auch Klavier spielte, konnte sie in beiden Stockwerken musizieren. Mein Vater hörte es allerdings nicht gern, wenn sie Seitensprünge zur höheren Musik machte, in der er nicht zu Hause war. So setzte sie schließlich jahrelang aus, und erst als er zum Militär einrückte, begann sie wieder stundenlang auf dem Klavier zu üben.
Den Gang vom oberen Stockwerk in das untere empfang ich als Abstieg; und ich hasste und hasse das Volkstümliche und Alpenländische nicht zuletzt deshalb, weil es einer Verstümmelung meiner Mutter gleichzukommen schien.
(S. 49)
© 2001, Residenz Verlag, Salzburg, Wien, Frankfurt.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.