Damals schrieb ich immer am Fensterbrett. Morgen für Morgen, nachdem Judith, was immer schon sehr früh am Morgen war, das Zimmer verlassen hatte, öffnete ich das Fenster, das zum Innenhof ging, und setzte mich dort aufs Fensterbrett, um zu schreiben. Morgen für Morgen baute ich dort, am Fensterbrett, aufs Neue ein Schreibnest – mein Nest, in dem außer mir nicht viel Platz zu haben brauchte: nur der Teller mit dem Nutellabrot, die Tasse Kaffee (ganz schwarz, mit Honig) und mein Schreibblock.
Eigentlich brauchte ich damals ja nur den Schreibblock. Den Schreibblock und einen der schwarzen Fineliner, von denen ich damals immer gleich vier oder fünf in der Hosentasche hatte. Aber das Nutellabrot und den Kaffee nahm ich nicht deshalb mit, weil ich sie zum Schreiben brauchte, sondern weil es Dinge waren, die mich an Judith erinnerten: wenn ich vom Nutellabrot abbiss oder einen Schluck vom Kaffee nahm (ganz schwarz, mit Honig), dann war es so, als ob Judith noch da wäre, da bei mir, in unserem Zimmer, das ich, obwohl ich da am Fenster fast unter freiem Himmel saß, doch nicht verlassen hatte. Wenn ich gerade nicht schrieb, dann brauchte ich diese Dinge mehr als alles andere, und es gab auch Morgen, da waren diese Dinge alles, was ich brauchte.
Aber an manchen Morgen brauchte ich gar nichts, was mich an Judith erinnerte, an manchen Morgen brauchte ich nichts als den Schreibblock und den schwarzen Fineliner, und an solchen Morgen verließ ich das Zimmer, in dem wir, Judith und Andreas, damals zusammenlebten, und ging hinüber in den Möwenpark. (S. 9)
© 2009 Literaturverlag Droschl, Graz-Wien.