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Leseprobe: Kurt Palm - Bringt mir die Nudel von Gioachino Rossini. Kein Spaghetti-Western

Neben den vielen kleinen Läden fielen Rossini in der Mulberry Street vor allem die zahlreichen italienischen Restaurants auf, die es hier gab. Sie hießen Lunella Ristorante Italiano, Angelo’s of Mulberry Street, La Nonna Italiana, DeNiros Ristorante oder Da Gennaro.
Als Rossini an der Ecke Mulberry Street und Hester Street an einem Restaurant mit dem Namen The Supreme Macaroni Company vorbeikam, blieb er stehen. Er warf einen Blick auf die schwarze Schiefertafel neben der Eingangstür und staunte nicht schlecht über die Vielfalt der angebotenen Nudelgerichte:
    Spaghetti aglio e oglio
    Spaghetti alla carbonara
    Spaghetti alla napoletana
    Spaghetti alla puttanesca
    Spaghetti alla gricia
    Spaghetti alle vongole
    Spaghetti bolognese
Rossini hätte große Lust gehabt, eine Rast einzulegen, wusste aber, dass er dazu keine Zeit hatte. Er ging weiter und spürte, wie das harte Leder seiner Hose an seinen Oberschenkeln scheuerte. Nach zwanzig aufreibenden Minuten hatte er endlich die Ecke Mulberry Street und Grand Street erreicht, wo sich im Erdgeschoss eines imposanten Backsteingebäudes die Pizzeria da Ponte befand. Vor dem Laden standen kleine Tische, die fast alle mit Pizza essenden Männern, Frauen und Kindern besetzt waren. Rossini fand einen leeren Stuhl und setzte sich zu zwei Männern, die ihr Gespräch sofort unterbrachen und Rossini einen misstrauischen Blick zuwarfen. Dass Little Italy ein korruptes Viertel war, das von Clans wie La Mano Nera oder La Cosa Nostra beherrscht wurde, konnte Rossini nicht wissen. Da die beiden Männer an Rossinis Tisch einen Oberlippenbart trugen, gehörten sie wahrscheinlich der Gruppe der Mustache Petes an, die nicht nur ein Monopol auf den Import sizilianischer Waren hatte, sondern auch das Geschäft mit den italienischen Lotterien in New York kontrollierte.
„Scusi“, sagte Rossini und deutete auf seine Stiefel. Die beiden Männer verstanden nicht, was er sagen wollte, und unterhielten sich flüsternd weiter. Rossini hatte Blasen an den Fersen, und er bereute es, dass er diese sündteuren Cowboystiefel gekauft hatte. Am liebsten hätte er sie ausgezogen und wäre barfuß zu seinem Treffen mit Lorenzo da Ponte gegangen. Da dies aber nicht ging, erhob er sich und betrat humpelnd die Pizzeria, in der es noch heißer war als draußen. Die Hitze kam von drei Steinöfen, vor denen Männer mit Lederschürzen standen, die mit hölzernen Pizzaschaufeln unentwegt Teigfladen hin- und herschoben. Trotz der stickigen Luft waren auch hier fast alle Tische besetzt.
Rossini blickte sich um und entdeckte neben der Eingangstür einen vornehm gekleideten älteren Herrn an einem Tisch sitzen. Er zählte Münzen und trug Zahlen in ein dickes Buch ein. Auch er hatte einen Oberlippenbart. Rossini stellte sich vor ihn und holte da Pontes Brief hervor. „Mein Name ist Rossini und ich habe eine Verabredung mit – äh – mit Don Lorenzo.“
Der Mann musterte Rossini und schien zu überlegen, was jemand in einem solchen Aufzug wohl mit Don Lorenzo zu besprechen hätte. Ohne ein Wort zu sagen, winkte er einen jungen Burschen heran, der mit drei anderen an einem Tisch saß und Karten spielte. „Matteo, komm her!“, rief er.
Sofort sprang der Junge auf und eilte herbei. Der Mann flüsterte ihm etwas ins Ohr. Matteo nickte diensteifrig und verschwand mitsamt dem Brief.
„Setzen Sie sich doch“, sagte der Mann.
„Danke, aber ich bleibe lieber stehen, meine neuen Stiefel drücken.“
„Aber gerade wenn Ihre Stiefel drücken, sollten Sie sich setzen.“
„Ja, schon, aber auch meine Hose scheuert.“
Der Mann verzog den Mund und widmete sich wieder seiner Arbeit.
Rossini hörte, wie sich die beiden Burschen, die mit dem  Briefboten Karten gespielt hatten, lautstark miteinander unterhielten. „Schau dir Raffaele an“, sagte einer von ihnen und deutete in Richtung der Pizzaöfen. „Raffaele ist ein richtiger Appassionato. Seitdem er mit Margherita zusammen ist, macht er nur noch Pizzas mit Tomaten, Mozzarella und Basilikum.“ Die beiden bogen sich vor Lachen, ohne dass Rossini verstanden hätte, was an dieser Geschichte so besonders lustig sein sollte.
Wenige Minuten später wurde Rossini von einem jungen Mann abgeholt, der ihn in den hinteren Teil des Gebäudes führte. Sie betraten einen spärlich beleuchteten Raum, und Rossini brauchte ein paar Sekunden, um sich an die diffusen Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Schwere, rote Samtvorhänge verdeckten die Fenster. Erst nach und nach erkannte Rossini, dass er sich in einem Salon befand, in dessen Mitte ein alter Mann auf einem rot gepolsterten Stuhl saß. Das flackernde Licht der mehrarmigen Kerzenständer verlieh dem knöchernen Gesicht des Greises einen gespenstischen Ausdruck.
„Don Lorenzo“, flüsterte der Mann, der Rossini begleitet hatte, und verschwand nach hinten.
Nachdem sich Rossinis Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, fielen ihm als Erstes da Pontes lange, weiße Haare auf, die weit über seine Schultern herabhingen. Sie bildeten einen deutlichen Kontrast zu seinem eleganten, schwarzen Anzug. Die linke Hand hatte er auf einen schwarzen Stock mit einem goldenen Griff gestützt, der einen Löwenkopf darstellte. Sollte dieser an das Wappentier Venedigs erinnern? An Venedig, wo sich da Ponte kurz nach seiner Priesterweihe in eine Patrizierin verliebt hatte, und von wo er einige Jahre später wegen seiner Beziehung zu einer verheirateten Frau vertrieben wurde? Rossini kam sich vor wie in einer Oper, wobei er nicht wusste, ob er Teil der Inszenierung oder nur Zuschauer war.
„Ah, Maestro Rossini“, krächzte da Ponte. „Schön, Sie zu sehen. Treten Sie näher.“

S. 75-78


























































































































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