ICH BIN SCHRIFTSTELLER
Ich verwende meine Füllfeder als Aussichtsturm
den Aussichtsturm als Schiffsmast
den Schiffsmast aber als Uhrzeiger welcher
auch der zu Stein fossilierte Speer eines
Schwertfischs sein soll den man zwischen zwei
flügelförmige Himmelshälften gespannt hat um
mit deren Hilfe ordentlich diesen Tag zu
überqueren und hernach im Gasthaus zu verschwinden!
Am Scheitel dieser gebogenen Flugbahn
Klettere ich einen Morgen weiter
(S. 9)
für Petra von Morstein
IN DIESEM SOMMER
als Du fortgingst
war es so kalt
dass sich der Garten verkühlte
Die Tulpen husteten mich an
die Bäume und Sträucher niesten ständig
und die Wiese
bekam einen Heuschnupfen
(S. 17)
DES NACHWUCHSDICHTERS KALKBRENNER NEUES GEDICHT
Knechtschaft
wird von Tyrannen
aufgehoben
Unrecht wird
von Unterdrückern
beseitigt
Gefangene werden
von Sklavenhändlern
befreit
Gequälte werden
von Folterknechten
getröstet
die Wahrheit wird
von notorischen Lügnern
verkündet
und streng gehütete Geheimnisse werden
von verschwiegenen Verrätern
unter Verschluss gehalten
(S. 31)
LIED DES FLIEGENDEN POETEN
Vogel schau
Wilde Wolkensau
Wird verjagt
Nebelgrau
Dort aus dem Wolkenbau
Unser dummer guter Mittagssonnenpfau
Spannt täglich sein Lichtstrahlenrad
Übern Marktplatz unserer neuen Stadt
Schaut Vögel schaut
HIMMELBLAU
Wird gebaut
(S. 78)
SPÄTER ist es sicher anders,
die Stimmen zu prüfen
und das Lachen zu beurteilen,
zu sprechen
über unsre lang verstellten Mienen.
So seltsam mag es klingen,
abzuschwören der Hand,
die traf und verfehlte,
zu leben ohne eine Formel,
mit der man die Nacht ausrechnet.
(S. 112)
© 2010 Verlag Jung und Jung, Salzburg-Wien.