logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   

FÖRDERGEBER

   Bundeskanzleramt

   Wien Kultur

PARTNER/INNEN

   Netzwerk Literaturhaeuser

   arte Kulturpartner
   Incentives

   Bindewerk

kopfgrafik mitte

Sabine Zelger: Das Pferd frißt keinen Gurkensalat.

Kulturgeschichte des Telefonierens.
Wien: Böhlau, 1998.
310 S., m. 17 Abb., geb.; öS 398.-.
ISBN 3-205-98839-6.

Telefonieren: jeder tut es mehrmals täglich, es ist ein selbstverständlicher und alltäglicher Akt, der außer nach Erhalt der Telefonrechnung oder in Gegenwart eines brüllenden Handy-Telefonierers meistens nicht hinterfragt wird.
Doch nach der Lektüre der fundierten und eingängien Studie Sabine Zelgers ist eine solch "naive" Haltung dieser Kommunikationsform gegenüber nicht mehr möglich.

Der Titel ihrer Arbeit ist vorerst ein wenig irreführend: "Das Pferd frißt keinen Gurkensalat" mag zwar neugierig machen, der erste Satz, den einer der Erfinder des Telefons - der Deutsche Philipp Reis - angeblich in die Muschel sprach, ist aber ein wenig umständlich; und die Bezeichnung "Kulturgeschichte" trifft nur bedingt zu. Die Autorin meint zwar im Vorwort: "Wir produzieren telefonierend oder wartend oder lauschend Beziehungs-, Geschäfts-, politische und Kaffeehauskultur. Und wir sollten diese Kultur gut kennenlernen und reflektieren." (S. 11) Aber ebendort spricht sie auch treffender von einer "Sozioanalyse".

Neben den kulturgeschichtlichen Fakten bildet ein kurzer Ausblick auf Kommunikationstheorien einen wichtigen Ausgangspunkt für diese Analyse: vielerorts werde, referiert Zelger, seit geraumer Zeit der "Mythos der telefonierenden Menschheit geschaffen" und Telefondichte "mit demokratischer Öffentlichkeit und Diskursfähigkeit gleichgesetzt" (S. 39). Die Autorin stellt von Beginn an klar, daß sie hier völlig anderer Meinung ist. Das beginnt für sie bei der (schon erwähnten) Telefonrechnung: "Und je mehr ich die Freiheit genieße, Solidarität übe, Demokratisierungsprozesse fördere, desto teurer kommt es mich. Desto unfreier werde ich, desto wichtiger werden Position, Schicht, Gehaltsklasse." (S. 53)

Für Sabine Zelger sind die Schriftstellerinnen und Schriftsteller die möglicherweise genauesten Beobachter der Telefongesellschaft und ihrer Entwicklung, also - wie sie schreibt - "Telefonexperten". Sie sind keine Apologeten einer positiven Menschheitsentwicklung durch dieses Kommunikationsmittel, in der Literatur fokussiert sich der Umgang mit dem Telefon oft paradigmatisch; und Zelger macht keinen Hehl daraus, den Texten soziale Kompetenz und Aussagekraft zuzuschreiben. (Denkt man nur an Valentins großartigen "Buchbinder Wanninger", so fällt es nicht schwer, der Autorin hierin zu folgen.)

Die literaturwissenschaftliche "Sozioanalyse" führt nun die verschiedensten Situationen und Lagen, in denen telefoniert oder zu telefonieren versucht wird, vor, beginnend beim Telefonat in der Öffentlichkeit über die "Last und Lust der Erreichbarkeit" bis hin zu Spezialfällen wie bestimmten Ritualen oder dem Anruf des Geliebten. Sabine Zelger schafft es, trotz scheinbar ausuferndem Materialreichtum (die Bibliographie weist über 160 Primärwerke auf) und szientistischer Fundiertheit niemals in einen zu trockenen, zu wissenschaftlichen Ton zu verfallen.

Abgerundet wird die Untersuchung konsequent mit einem Blick auf die Opposition zu der am Telefon geforderten Schwatzhaftigkeit: dem Schweigen; denn der Stille in den Ferngesprächen kommt eine nicht zu unterschätzende Rolle zu: Das Schweigen "ist eine Stromschnelle im Redefluß", "es erweist sich als eine Notbremse oder ein Gefühlsnotstopp oder ganz einfach als nackte akustische Gelegenheit." (S. 280)

So mancher Zeitgenosse wettert gegen die tragbaren Telefone, mit denen man nun selbst auf dem "stillen Örtchen" erreichbar sei. In Zelgers Arbeit erfährt man, daß dies bereits bei Kaiser Franz Joseph der Fall war: er hatte sich, angeblich ebenfalls der ständigen Erreichbarkeit wegen, seinen privaten Anschluß in der Toilette anbringen lassen.

Wolfgang Straub
19. Mai 1998

Suche in den Webseiten  
Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
Junge LiteraturhausWerkstatt

Mo, 05.02. bis Mi, 07.02.2018, 15.00–19.00 Uhr Dreitägiger Schreibworkshop für...

Verleihung der Übersetzerpreise der Stadt Wien 2016 & 2017

Do, 08.02.2018, 19.00 Uhr Preisverleihung & Lesung Der mit € 3.700 dotierte Übersetzerpreis...

Ausstellung

Tipp
flugschrift Nr. 21 – MARK Z. DANIELEWSKI

Dem amerikanischen Autor Mark Z. Danielewski gelang es mit seinem Roman-Debut Das...

Incentives – Austrian Literature in Translation

Neue Beiträge zu Clemens Berger, Sabine Gruber, Peter Henisch, Reinhard Kaiser-Mühlecker, Barbi...