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Jürg Häusermann, Korinna Janz-Peschke, Sandra Rühr : Das Hörbuch.

Medium – Geschichte – Formen.
Konstanz: UVK 2010.
385 S.; brosch.; Euro 48,-.
ISBN 978-3-86764-181-4.

Das Hörbuch ist gattungsmäßig eine hybride Form, die ihren Namen aus kommerziellen Zusammenhängen zugewiesen erhielt, eine intensive Beschäftigung damit von Seiten der Literatur- und Medienwissenschaften ist daher ein Desiderat der Stunde. Der final klingende Titel des vorliegenden Bandes "Das Hörbuch" und das eigentlich renommierte Verlagsumfeld UVK wecken die Hoffnung, dass endlich begriffliches und definitorisches Licht in das Dickicht von Erscheinungsformen und Redeweisen gebracht wird, auf dass ein konkreteres Sprechen und Urteilen über dieses junge Phänomen der – ja doch – Buchkultur möglich werde.

Doch das leistet der Band nicht und es scheint nicht einmal seine Intention, worauf der Untertitel "Medium – Geschichte – Formen" schon hinweist. Tatsächlich täuscht die kleinteilige Kapitelstruktur, die sich im Inhaltsverzeichnis so ordentlich präsentiert, nur vor, dass hier begriffliche "Ordnung" gemacht oder zumindest angestrebt wird. Dabei erschwert gerade das Begriffschaos rund um das Hörbuch eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen, und es ist vielleicht mit ein Grund, dass sich die Pflichtübungen der "Hörbuch-Spalten" in den Feuilletons auf redaktionell etwas aufgepeppte Kauftipps eingeschliffen haben.

Der Band enthält vier Beiträge von drei AutorInnen, und schon dieser Aufbau ist strukturell nicht ganz geglückt. Vieles, was in Beitrag eins von Jürg Häusermann angetippt wird, kann man in Beitrag zwei von Sandra Rühr ausführlicher nachlesen. Sie entwickelt auch anhand ausgewählter Analysen Kriterien für eine Beurteilung vor allem der akustischen Gestaltung von Hörbüchern. Eingepackt aber ist das hier in die Präsentation einiger Hörbuchverlagsprogramme, und dafür haben die zwangsweise willkürlich ausgewählten Hörbücher "im klassischen Sinn" wiederum wenig Aussagekraft. Was ein Hörbuch "im klassischen Sinn" nun aber ist, darüber gibt der Band keine verbindliche Auskunft, nicht einmal zwischen den Beiträgen herrscht terminologische Einigkeit: was bei Rühr "im klassichen Sinn" heißt, wird bei Häusermann "im engeren Sinn" genannt und meint in beiden Fällen eine von einem Sprecher umgesetzte Buchvorlage. Auch über die zehn umsatzstärksten Hörbuchverlage im deutschsprachigen Raum sind sich die beiden Beiträge nicht einig: Häusermanns Liste (S. 42) und Rührs Aufzählung (S. 88) überschneiden sich nur teilweise.

Der dritte Beitrag "Zur Inhaltsanalyse von Hörbüchern" stammt wiederum von Häusermann und rollt das von Rühr an praktischen Beispielen entwickelte mit einer besonders feinteiligen Gliederung neu auf. Die Ausführungen aber bleiben oft allzu sehr im allgemeinen, wie im Abschnitt "Theorie und Praxis des Kürzens", der keine wesentlichen Erkenntnisse bringt und vor allem den in diesem Punkt besonders schlampigen Umgang der Verlage völlig ausspart, die oft gar nicht mitteilen, dass gekürzt wurde, geschweige denn, wer dafür verantwortlich zeichnet und noch weniger, in welchen Größenordnungen sich diese Kürzungen bewegen.

Der vierte Beitrag von Korinna Janz-Peschke ist insofern der anregendste, als er die Frage der Mündlichkeit in literarischen Texten – mit fließenden Übergängen zur Vielstimmigkeit im Sinne Bachtins – narratologisch anhand einiger akustischer Umsetzungen untersucht, auch hier sind es überwiegend Hörbücher im "klassischen/engeren" Sinn, etwa die Odyssee, Theodor Fontanes "Effie Briest" oder Arthur Schnitzlers "Frau Berta Garlan".

Vielleicht hätte der Band einfach einer stärkeren redaktionellen Überarbeitung bedurft, um die vielen Redundanzen und Variationen zu vermeiden, vor allem aber keineswegs nur, was das Hörbuch als "dehnbaren Begriff" (S. 176) betrifft, der als Terminus der Warenwirtschaft eben wahllos alles subsumiert, was in den CD-Player passt und mehr Wort- als Musikanteil enthält: Lesunges- oder Theatermitschnitte, Lesung durch einen Sprecher oder den Autor, Features, Hörspielartiges usw. Unter dem Titel "Das große Angebot" heißt es gleich zu Beginn des Bandes zum Thema "Was ist ein Hörbuch": "Ein typisches Beispiel für ein Hörbuch im engeren Sinn ist der Krimi "Verblendung" von Stieg Larsson . Die Hörbuchfassung ist eine auf ca. ein Drittel gekürzte Lesung. [...] Der Sprecher liest auf eine leicht distanzierte Art [...]" (S. 11) Was kann man mit Aussagen wie dieser für eine Klärung der Begrifflichkeit erreichen? Was ist das Typische und wofür?

Die sprachliche Unsicherheit – auch zwischen den AutorInnen des Bandes – erstreckt sich auch auf die als mögliche Ahnen diskutierten Formate des Hörfunks. "Hörspiele auf Grund von Romanen und Erzählungen sind keine Errungenschaften des Hörbuchs", schreibt Häusermann (S. 167), es sind aber eben auch keine Hörspiele, sondern Dramatisierungen bzw. Bearbeitungen. Das Hörspiel ist ein genuin radiophon entstandenes Genre. Unrichtig ist auch, dass mit akustischen Mitteln als gleichberechtigten, nicht bloß untermalenden Elementen erst das neue Hörspiel der 1960er Jahre operierte; das war ein ganz zentrales – wiewohl dank dem Faschismus radikal vergessenenes – Prinzip der Pionierzeit der 1920er Jahre. Das Grundsetting des Hörbuchs im "klassischen/engeren" Sinn aber, von dem in diesem Buch vorwiegend geschrieben wird, kommt von der "Funkerzählung" her, ein Begriff, der im Buch nicht fällt.

Die Technikgeschichte der Stimmaufzeichnung als Voraussetzung für den Hörbuch Boom – den Häusermann auf S. 50 leugnet, um ihn auf S. 55 wieder zu verkünden – wird im Beitrag von Sandra Rühr kundig dargestellt: Edisons erster Phonograph 1878, Vinylplatte und Transistortechnik 1948, die Sprechplatte der 1950er Jahre, die Musikkassette von Philips 1963, die Kinderkassetten der 1970er Jahre, "Cottas Hörbühne" 1986, bis zum Walkman 1978 und den mp3-Playern unserer Tage, nicht zu vergessen das CD-Format, mit dem das "Hörbuch" als Produktgruppe erst in die Buchhandelsregale eingliederbar wurde. Eine Frage drängt sich dabei auf: was signalisiert oder impliziert der begriffliche Wechsel von Sprechplatte zu Hörbuch – das gleichwohl häufig den Sprechernamen als Werbeträger nutzt – soziologisch und medientheoretisch? Kulturhistorische Fragestellungen dieser Art interessieren die AutorInnen des Bandes insgesamt weniger. Dass die erste Sprechplatte 1954 "Faust I" war, ist eben kein Zufall, sondern wiederholt das Gründungsbuch der Reclam-Klassikerreihe im Jahr 1867. Dass der Diogenes Verlag ein wiedererkennbares Cover-Design pflegt und auf das Diogenes Hörbuch überträgt (S. 114), wird ausführlich und beinahe verwundert beschrieben. Doch das war vor den radikalen Konzentrationsprozessen im Verlagswesen eigentlich üblich, Diogenes hält als einer der letzten größeren Privatverlage daran fest, während die Konzerne entgegen dem gesamtgesellschaftlichen Trend zum Branding und Labelling just in der Buchkultur davon abgegangen sind.

Vielleicht sind das alles zu kleinliche Anmerkungen. Sie resultieren aus der Enttäuschung, dass hier nach einer mühsamen Lektüre nicht das zu finden ist, was der große Übertitel "Das Hörbuch" hoffen ließ: Die Arbeit an der Ausdifferenzierung der Begrifflichkeit, auch was den in diesem Kontext unscharfen Begriff "Medium" betrifft, den der Untertitel verwendet und der im Buch kaum problematisiert, geschweige denn für den vorliegenden Fall konkretisiert wird. Trotzdem, die beiden Untersuchungen von Sandra Rühr und Korinna Janz-Peschek lohnen die Lektüre, aus ihren Analysebeispielen können Hörer wie Kritiker für ihre Urteilsbegründungen einiges lernen.

Evelyne Polt-Heinzl
31. August 2010

 

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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