im Gespräch mit Karin Cerny über seinen jüngsten Roman "Magdalenaberg", seine Beziehung zu den beschriebenen Orten, seine Vorstellung von Heimat und seine Abneigung gegen Geschwätzigkeit.
Oktober 2009
Karin Cerny: Die Orte aus Ihrem jüngsten Roman "Magdalenaberg" gibt es alle wirklich - von Hallstatt bis zum titelgebenden Magdalenaberg. Wie wichtig sind diese realen Orte für Ihre Literatur?
Reinhard Kaiser-Mühlecker: Mein erster Roman "Der lange Gang über die Stationen" spielt in den 50er Jahren, und es gibt fast keine Ortsnamen. Das hatte auch den Grund, dass ich nicht als Autor mit meinen Figuren identifiziert werden wollte. Man sollte nicht sagen können: Das ist Ihre Geschichte. Obwohl im ersten Buch kaum konkrete Orte vor kamen, habe ich damals schon an diese oberösterreichische Gegend gedacht. Pettenbach etwa, jener Ort, der jetzt in "Magdalenaberg" beschreiben wird, grenzt an meinen Heimatort. Hallstatt, wo mein Protagonist lebt, ist wahrscheinlich jener Ort, den ich am wenigsten genau kenne.
Ist es wichtig, die Orte gut zu kennen über die man schreibt?
Orte sind vor allem durch ihre emotionale Bindung prägend. Ich will hauptsächlich über Orte schreiben, die ich gut kenne, die ich auch verstehe. Obwohl man ja nie weiß, ob man einen Ort wirklich versteht. Ich war kürzlich zwei Wochen in Vilnius als Autor eingeladen. Da wurde verlangt, dass man einen Text über die Stadt schreibt. Das ist mir sehr schwer gefallen: Ich wollte einfach nicht Vilnius als reine Kulisse beschreiben. Ich brauche eine Emotion zu einem Ort.
Um Klischees zu vermeiden?
Das auch, das Erste, was man sieht, sind ja die Klischees. Die hören allerdings oft auf Klischees zu sein, wenn man Orte besser kennt. Wenn man ein Klischee mit eigenen Erfahrungen verbindet, entsteht etwas Neues daraus.
Ihr Debütroman wurde im Feuilleton hoch gelobt. War der Druck groß, ein zweites Buch zu schreiben?
Eigentlich nicht, weil mir jeder gesagt hat, das zweite Buch wird sicher ein Flop. Da dachte ich: Na gut, dann brauche ich mir ja keine Gedanken zu machen. Das hat es für mich leichter gemacht. Aber einen großen Unterschied gibt es doch: An meinem ersten Roman habe ich drei Monate geschrieben, an diesem Buch drei Jahre.
Ihr erster Roman erzählt die Geschichte einer Entfremdung zwischen einem Bauern und seiner Frau. Kann man sagen, Ihr jüngster Roman ist eher die Geschichte einer komplizierten Annäherung zwischen zwei Brüdern?
Annäherung ist sicher richtig, allerdings auf mehreren Ebenen: Meine Hauptfigur versucht, sich selbst zu verorten. Und auch in seiner Liebesgeschichte zu einer Frau geht es um Annäherung. Mit ihr passiert ihm etwas Ähnliches wie mit seinem Bruder: Dass er nicht gesehen hat, was im Moment passiert, sondern erst im Nachhinein versucht, den Ereignissen und seinen Gefühlen auf die Spur zu kommen.
Ihre Figuren haben eine gute Beobachtungsgabe: Sie registrieren im Kopf genau, was ihre Umwelt tut, aber sprachlich können sie sich schwer ausdrücken. Woher kommt diese Skepsis gegenüber der Sprache?
Es ist so, dass auch ich Geschwätzigkeit nicht gerade gelernt habe. Ich habe auch Smalltalk nicht gelernt. Es gibt einfach Gegenden, dort hat es der Smalltalk noch nicht hin geschafft. Es gibt in dem Buch ja auch eine Verbindung zum Alten Testament, wo einmal deutlich gesagt wird: Der Schwätzer ist ein Narr.
Aber es gibt ja auch einiges zwischen Schweigen und Schwätzen.
Die Figur der Katharina ist dazwischen, sie fragt immer wieder nach, und versucht die Kommunikation in eine andere Richtung zu bringen.
Ihre beiden Brüder haben reich geerbt, sie haben keine finanziellen Probleme. Wird ihnen nicht gerade diese Freiheit zum Problem?
Was bedeutet Freiheit? Ich glaube nicht, dass persönliche Probleme gelöst werden, wenn man Geld hat. Viele Leute merken im Urlaub, dass, sobald die Alltagsablenkung wegfällt, es auch nicht einfacher wird. Für die beiden Brüder im Roman wird es schwieriger, weil sie keiner Gesellschaft mehr angehören müssen. Der äußere Zwang fällt weg, wenn man in kein Büro gehen muss. Sie driften daher noch mehr in ihr Außenseitertum ab.
Ihre Literatur wurde mit der Tradition der Anti-Heimatliteratur in Verbindung gebracht. Sehen Sie sich in dieser Linie?
Mit dem Begriff Heimatroman kann ich nicht viel anfangen. Ebenso wenig wie mit dem Anti-Heimatroman. Ich finde, meine Literatur geht woanders hin. Ich habe nicht das Bedürfnis, die Heimat zu verklären, aber gleichzeitig muss ich auch kein Heimatbild zerstören. Diese extremen Haltungen liegen mir einfach nicht. Aber, dass die so genannte Heimat oder die so genannte Provinz für mich eine Rolle spielt und wahrscheinlich auch in Zukunft spielen wird, ist schon klar. Heimat ist, wovon man ausgeht, Heimat ist, wo die Erinnerung Bescheid weiß. Heißt es.
Erinnerung ist ein zentrales Thema in Ihrem Buch.
Ich wusste von Anfang an, dass ich ein Buch über eine Vergangenheit, die weit weg ist oder scheint, schreiben wollte. Ein Buch auch über eine Kindheit. Es hat drei Jahre gedauert, mit zahlreichen Streichungen und Neuanfängen und langen Pausen, bis sich das eigentliche Thema, wenn es denn eines gibt, herauskristallisiert hat. Das wesentliche Thema ist wohl die Erinnerungsarbeit, der man zusieht.
Sie leben schon seit einigen Jahren in Wien. Die Großstadt kommt aber trotzdem nur am Rande vor.
Ja, seit 2002 lebe ich in Wien. Aber bisher hat mir Wien einfach noch nicht so viel an zwingender Inspiration geliefert, dass ich unbedingt darüber schreiben müsste. Ich war auch längere Zeit in Südamerika. Ich glaub nicht, dass man die Orte seiner Vergangenheit verlassen kann. Orte an denen man länger war, schreiben sich in einen ein und man trägt sie mit sich herum. Ob das jetzt ein oberösterreichisches Dorf ist, das man bis nach Südamerika mit nimmt oder ob es Wien ist, dem ich ja auch nicht entfliehen kann, wohin ich auch gehe. Orte sind für mein Schreiben einfach sehr wichtig, aber eben nicht als Kulisse, sondern als Plätze, die man kennt und für die man ein Gespür hat.