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Thomas Glavinic: Lisa.

Roman.
München: Hanser 2011.
Gebunden; 208 S.; Eur. 17,90;
ISBN 978-3-446-23636-3.

Link zur Leseprobe

Der Mann im Internetradio stellt sich als Tom vor: „Tom, das ist eine Idee von mir. Ich bin eine Idee von Tom.“ Er redet sich seine Furcht von der Seele, und er hat Grund genug, sich zu fürchten: Er und sein Sohn nämlich werden in Glavinics neuem Roman verfolgt – und haben nur das Schlimmste zu erwarten.

Alles beginnt mit einem Wohnungseinbruch, erzählt Tom, einer Lappalie eigentlich, wobei allerdings DNA-Spuren gefunden werden. Diese weisen auf eine Frau hin, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte an einer Unzahl abscheulicher Verbrechen beteiligt hat. Wie ein Schatten ist sie durch die Welt gezogen, überall genetische Fingerabdrücke und schlimm zugerichtete Leichen hinterlassend. Im Glauben, verfolgt zu werden, und dementsprechend panisch verfrachtet der Sprecher also sich und seinen Sohn in ein abgelegenes Landhaus: dort harren sie der Dinge.

Um ein wenig Stress abzubauen, spricht er jeden Abend über Internetradio zu einer unsichtbaren Hörerschaft, zunehmend besoffen und zugekokst. Er spricht über alles, was ihm schon lange auf der Seele liegt: über die richtige und die dämliche Kulturbeflissenheit, den guten und den bösen Zorn, Religion und Ministranten, provinzielle Feuilletonleser und intelligente Wüstlinge, über schlechte Kunst und beschränkte Online-Postings. Neben seiner Angst ist er nämlich vom zutiefst menschlichen Gefühl besessen, als einziger Bescheid zu wissen, und zwar auf diese tief empfundene, erdige Art, die man gar nicht erst zu erklären braucht. Er, mit dem einzig gesunden Ressentiment, mit der einzig vernünftigen Beschränktheit ausgestattet, ist quasi der Onlineforum-Poster, der es allen anderen Postern einmal so richtig reinsagt.

Das ist gut zu lesen und fällt um nichts zurück hinter den Plot, der dramaturgisch geschickt nur stückweise vorangeht und durchaus geeignet ist, den Leser eine atemlose Nacht verbringen zu lassen: Nach und nach mehren sich die Indizien, dass die Verfolgerin, aus Verlegenheit Lisa genannt, auf dem richtigen Weg ist. Mit jedem grauenhaften Detail wird die Figur der Serienkillerin ungreifbarer. Immer wieder erscheint die Monumentalität ihrer Grausamkeit als Chiffre für etwas, klingen vielleicht christliche Martyrien an oder figuriert Lisa womöglich für ein überzeitliches Prinzip.

Das hebt vielversprechend an, wird aber leider nichts. Mit der Angst um das geliebte Kind und das eigene Leben werden eine Handvoll Affekte angesprochen, die sehr gut durch das Buch tragen, darüber hinaus nicht. Was am Ende als letzte Eröffnung den Horror auf die Spitze treiben soll – verraten wird es der Spannung halber nicht –, ist bemüht und tendiert zum Trivialen.

Wobei „trivial“ hier keineswegs mit „unterhaltsam“ zu verwechseln ist. Unterhaltsame Romane hat Glavinic durchwegs geschrieben, wenn man nicht tatsächlich der Meinung ist, dass damit etwas Minderes verbunden wäre. Unterhaltsame, fesselnde Romane also, die nie auf eine zweite Ebene verzichten, die auf unverbogene Art und Weise philosophisch, atemberaubend spannend, oft hochkomisch, auch sprach- und gesellschaftskritisch sein konnten und dabei immer den notwendigen, nicht ausdeutbaren Rest aufwiesen, durch den solche Bücher erst in Erinnerung bleiben. Da erzählt jemand von einem sinnlosen Verbrechen an Kindern, und neben aller Medien- und Gesellschaftskritik, die man da herauslesen könnte, ist es vor allem die jenseits aller Psychologie liegende Fremdheit des Täters, die dem Leser in die Knochen fährt. Oder jemand wird von der gesamten Menschheit verlassen, und abseits des spannenden Endzeitplots ist es vor allem der unbeantwortbare Verlust aller Orientierungssysteme, der übrigbleibt.

Bisher hat Glavinic also nie trivial geschrieben; bei „Lisa“ nun ist das schwerer zu beantworten. Wenn bisher das Heimelige und das Unheimliche oft sehr tragfähige Pfeiler für seine Bücher waren, so stehen die beiden jetzt recht unverbunden da. Wenn das kleine Kind genau die Emotionen weckt, die kleine Kinder in ihren Eltern eben wecken sollen, wenn das Grauen vor der Tür bloß grauenhaft ist, dann steht das in gefährlicher Nähe zu Kitsch. Nicht unpassend, dass Glavinics Protagonist sich zum Apologeten der Männerphantasie aufschwingt: „Wieso zum Beispiel wird das Wort Männerphantasien immer negativ gebraucht?“ Es gebe ja auch da gute und schlechte. – Mag sein, aber die „guten“ Männerphantasien, mit denen Glavinic hier liebäugelt, werden eben nicht zwangsläufig gute Literatur.

Die notwendig unlösbare Frage, der Widerhaken des Buches: Man findet ihn kaum. In Resten in der Handlung, gar nicht im Kalkül des Autors. Mit seinen gewünschten Effekten löst sich der Text glatt und ohne Rest. Wenn einer Geschichte, die das vielleicht nicht nötig hätte, am Ende so grob das vermeintlich Abgründige implantiert wird, war man zwar bis dahin gut unterhalten. Am Schluss aber wird man um ein gutes Buch gebracht.

Bernhard Oberreither
18. Juni 2011

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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