Leseprobe
Der Beginn eines jeden Buches leidet unter einem großen Manko: Es fehlt die Musik.
Wie gut hat es da der Film, dessen Vorspann getragen wird von einer klanglichen Ouvertüre, die verspricht, was nachher erfüllt wird oder nicht, aber in jedem Fall den Zuseher augenblicklich in ihren Bann zieht, augenblicklich eine Aufregung, eine Rührung oder ein Staunen hervorruft. [...] In der Art, wie man ohne jede Vorwarnung einen Kuß erhält oder eine Ohrfeige. Ein Buchumschlag oder Prolog ist dagegen schwächlich. Ein kleines Zittern im Vergleich zum Schüttelfrost. [...]
Ich würde viel darum geben, könnte ich der Geschichte, die hier zu erzählen ist, eine Einleitung verleihen, die mit Musik und verdichteten Bildern unterlegt wird, Bildern, vor deren Hintergrund Personen oder Dinge auftauchen und verschwinden gleich Geistern. Geistern von Bedeutung.
Wie würde ich diese Eröffnungssequenz umsetzen? Welche Musik verwenden? Eine klassische oder eher eine dieser Zwölftonkompositionen, die an unseren Nerven zerren? Aber eben ganz anders, als viele es im Konzertsaal empfinden, dort die Nerven tötend, beim Vorspann hingegen in der Tat an ihnen ziehend: eine Spannung erzeugend.
Ja, ich denke, ich würde etwas von Schönberg nehmen. Und dazu anfangs völlig uneindeutige dunkle Bilder, in die sich nach und nach helle, bläuliche Flecken mischen und den Zuseher begreifen lassen, auf eine in Zeitlupe ablaufende Unterwasserszene zu schauen. Schlußendlich realisiert das Publikum, daß es sich um ein mächtiges Wesen oder Objekt handeln muß, welches hier durchs Wasser gleitet. Keinen Hai, eher ein U-Boot oder einen Wal oder schwimmenden Elefanten, vielleicht auch ein versinkendes Schiff. So klar soll das jetzt noch gar nicht werden, weil der Vorspann etwas verspricht, aber nicht verrät. Ein riesiges Ding eben. Riesig und dennoch verletzlich, zumindest wird diese Verletzlichkeit in einer letzten Einstellung angedeutet, dann, wenn der Name des Regisseurs auf der Leinwand sichtbar wird. Wie bei einer umgekehrten Schöpfung, wo der Name des Schöpfers den Schluß der Schöpfung bildet. Beinahe im Stil einer Geständnisses, einer Reue, einer Abbitte. Ein Gott, der sich entschuldigt.
(Seiten 7-9)
© 2014 Piper Verlag, München.