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Irene Diwiak: Malvita.

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Autorin

Rezension

Leseprobe:

So verächtlich, wie sie vorhin das Wort "Uffizien" ausgesprochen hatte, war es doch einigermaßen überraschend, dass sie über so etwas wie ein "Lieblingsbild" verfügte. Das Obergeschoß war auch später noch zu besichtigen, dachte Christina, viel spannender schien es ihr jetzt, jenes Kunstwerk kennenzulernen, das eine Elena Esposito begeistern konnte. Außerdem blieb ihr ohnehin keine Wahl. Wieder einmal stolperte sie ihrer langbeinigen Cousine hinterher wie ein Entenküken der Mutter. Elena hingegen duchquerte die Ausstellungsräume wenig vogelhaft, sondern vielmehr wie ein Eisbrecher: Den wunderbaren Bildern an den Wänden schenkte sie keinerlei Beachtung, stur blickte sie geradeaus, als wären ihre Zöpfe Scheuklappen. Andere Museumsbesucher wichen aus, blickten weg von den Kunstwerken und ihr hinterher, Christina beobachtete, wie ein Mann erst Elena, dann seinen Kumpel anschaute und dann mit den Fingern eine Bewegung machte, als hätte er etwas Heißes berührt. Der Kumpel lachte.

Abrupt blieb Elena stehen. Ihre dunklen Augenbrauen zogen sich zu einem strengen Strich zusammen, die Lippen bebten. Gleich würde eine Schimpfwortlawine aus ihrem Mund hervorbrechen wie vorhin in der Lastwagenkolonne, dachte Christina, und diesmal würde sie die beiden unverschämten Männer unter sich begraben. Elena aber sagte nur: "Artemisia Gentileschi." Dann hob sie die Arme wie eine anpreisende Marktfrau. An der Wand hinter ihr hing ein blutiges Gemälde. Ja, im ersten Moment hielt Christina es für echtes Blut, das in Hermann-Nitsch-Manier auf die bemalte Leinwand gespritzt worden war. Aber natürlich hätte es dann schon längst braun und vertrocknet gewesen sein müssen und eben nicht so frisch blutrot wie der Schwall, der aus dem Hals des hier gemalten Mannes schoss. Er lag am Rücken, nackt, lediglich die Intimzone war züchtig mit rotem Tuch verdeckt, und trotz des vielen Blutes blickte er weniger schmerzerfüllt als verwundert aus seinem Rahmen heraus, als hätte er schlichtweg nicht gerechnet mit dem Messer, das sich seitlich in seinen Nacken bohrte. Drei blasse Frauenarme hielten ihn nieder, ein vierter führte die Waffe.
"Judith und Holofernes", sagte Elena, und da Christina nichts sagte, ergänzte sie: "Eine biblische Geschichte. Ich hasse die Bibel, aber Judith mag ich."
Judith also hieß die eine, wohl die ausführende Henkerin, deren Gesichtsausdruck etwas Verbissenes, geradezu Penibles hatte, als würde sie hier mit großer Sorgsamkeit ein Kalb filetieren. Sie steckte, wie auch ihre Helferin, in einer barocken Robe mit riesigen Ärmeln, auf denen sich durch Licht- und Schattenspiel die Kunstfertigkeit der Malerin offenbarte. Neben diesem Stoffgebluster war Holofernes noch nackter mit seinem Tüchlein und dem vielen Blut.
Das also war Elenas Lieblingsbild.
Elena machte mit ihren Fingern Bewegungen, als wollte sie die Blutspuren abtasten, die nach all den Jahrhunderten immer noch frisch und feucht aussahen, dabei presste sie entschlossen die Lippen aufeinander. Christina bewunderte das Bild, aber gleichzeitig auch Elena, wie sie davorstand: Mit ihren langen, dünnen Gliedmaßen und dem kantigen Gesicht stellte sie geradezu das Gegenteil der beiden barocken Damen dar, und doch war sie irgendwie die Dritte im Bunde, die aus dem Rahmen gefallene Schwester. Ihr Gesichtsausdruck imitierte Judiths Eifer, allerdings mit strahlender Begeisterung versetzt, und kurz hatte Christina die seltsame Vorstellung, dass sie selbst die weniger prächtige Helferin im Hintergrund widerspiegeln könnte. Für ein paar Sekunden also befand sich der verblüffte Holofernes in den Fängen von vier Frauen, zwei innerhalb und zwei außerhalb des Bilderrahmens.
"Zu ihrer Zeit war Artemisia Gentileschi eine große Malerin", murmelte Elena, ohne ihren Blick von dem Gemälde zu lösen. "Heute ist sie natürlich vergessen."
"Warum natürlich?", fragte Christina. Elena zog die Augenbrauen hoch und gab einen Laut von sich, der wie ein Auflachen und gleichzeitig wie ein Ausspucken klang."Das ist einfach so", sagte sie, "Frauen werden vergessen, wenn sie sterben. Manchmal auch davor."

(S.132-134)

© 2020 Zsolnay Verlag, Wien

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