Leseprobe:
Andrea war zehn Minuten vor dem Termin im Café. Wintobel kam dafür zehn Minuten zu spät.
Sorry, ich war noch im Teeladen da vorne, hab die Zeit unterschätzt. Wintobel machte, wie er an Andreas Tisch stand, keinen entspannten Eindruck. Alles an ihm wirkte unsicher, kam es Andrea vor. Unsicher und zugleich bemüht kontrolliert.
Wollen Sie, – sorry – willst du dich nicht setzen? Ich dachte, hier auf der Terrasse … das Wetter zwar etwas diesig, aber …
Jaja, schon in Ordnung. Die Hitze letzte Woche war eh nicht auszuhalten … Wintobel lächelte. Sein Lächeln das der nervösen Variante. Er sah sich um. Dann fasste er die Dinge am Tisch an: Aschenbecher, die Karte, Andreas Kuli. Verrückte sie mehrmals, um sie in eine Ordnung, seine Ordnung zu bringen.
Es war an Andrea, das Gespräch wieder aufzunehmen: Gleich hergefunden?
Wintobel streckte sein rechtes Bein unter dem Tisch aus, sein Sessel knackte. Ich war vor Jahren einmal hier. Viel junges Publikum.
Ja, als ich noch studierte, war das auch mein Stammlokal. Andrea zog ein LIBRO-Sackerl von der Lehne, kramte eine Klarsichthülle hervor, die sie vor sich auf den Tisch legte. Es wurde eng. Der Kellner brachte die bestellten Kaffees, jeweils auf kleinen Silbertabletts, und Andrea musste die Klarsichthülle zu sich nehmen, legte sie auf ihrem Schoß ab.
Neue Texte?
Ja, ich habe eine neue Version probiert. Sie reichte ihm die Klarsichthülle.
Ich schau sie mir zuhause an, okay?! Das geht nicht so zwischen … kannst du schon etwas verraten?
Na ja, mein Wartlechner, also du weißt schon, der Schriftsteller in meiner Geschichte, gibt gegenüber Dritten die junge Hobbyautorin, deren er sich annimmt, als seine Tochter aus. Er reicht Texte von ihr, – aber ohne ihr Wissen –, bei einer Zeitschrift ein. Sie wird auch veröffentlicht. Konstanze ist wütend, es kommt zum Bruch … und weiter bin ich noch nicht.
Wintobel hatte aufmerksam zugehört und nahm die Klarsichthülle mit den Textblättern entgegen, wusste nicht gleich, wohin damit, ruckelte auf seinem Sessel und verstaute sie schließlich zwischen sich und der Lehne.
Ist das dein Ziel? Also ich meine, willst du auch einmal veröffentlichen? Wintobel schaute Andrea an, als würde er etwas, das er verloren hatte, in ihrem Gesicht suchen.
Andrea lachte auf. Ist das nicht Sinn und Zweck der Übung?
Ja klar … irgendwie schon.
Irgendwie? Andrea setzte ein Grinsen auf, das nach Klartext verlangte.
Mit veröffentlichten Texten ist das wie mit Raketen. Man freut sich, wenn's los geht, der Start klappt. Und dann geht's hinaus in die unendlichen Weiten der Literaturwelt. Die Rakete wird immer kleiner und kleiner, bis du sie nicht mehr siehst. Bis sie fort, entschwunden ist, sich deinem Einfluss entzogen hat. Bis der Text nicht mehr dir gehört. Eigentlich ein trauriges Geschäft, Andrea, das wir Schreiberlinge betreiben … von der Flut der Veröffentlichungen, der Konkurrenz von hunderttausenden Büchern, die jährlich erscheinen, erst gar nicht zu reden.
Andrea hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Wintobel nahm einen Schluck Kaffee. Als er die Tasse wieder abstellte, stieß er Andreas Kuli vom Tisch. Beide bückten sich. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment kopfüber unter dem Tisch.
(S.80-82)
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