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Norbert Gstrein: Der zweite Jakob

Leseprobe:

... Stephen war kein anderer als Stephen O'Shea, zu dem ich weiter Kontakt hielt, und als er mir zehn Jahre nach unserem gemeinsamen Schuljahr vorschlug, noch einmal für ein paar Wochen nach Montana zu kommen, war er längst eine Berühmtheit und ich erst Student mit bereits einigen Semestern über dem Plan und ungewissen Zukunftsaussichten. Ich dachte mir nicht viel dabei, als er mir anbot, in dem Stück, das er in seiner Heimatstadt bei einem Festival inszenierte, eine winzige Rolle zu übernehmen, und wäre, allein schon weil ich keine Ambitionen in diese Richtung hegte, nie auf die Idee verfallen, dass aus diesem ersten kleinen Auftritt auf der Bühne mein erster nicht mehr ganz so kleiner in einem Film folgen könnte. Spielen musste ich nur einen Barbesucher, nicht mehr als den lebenden Hintergrund für ein im Vordergrund streitendes Paar, einen zufällig Anwesenden, der mit dem Satz »Ich hoffe, du weißt, was du da tust« einschreitet, als der Mann seine Hand gegen die Frau erhebt, weshalb ich nur überrascht sein konnte, dass nach der Premiere ein in einem fort hüstelnder Krawattenträger auf mich zukam, der nicht unbedingt aussah wie jemand aus der Branche, sich jedoch als Regisseur vorstellte, mir seine Visitenkarte überreichte und mich beglückwünschte. Dann sagte er, meine Gelassenheit habe für die Glaubwürdigkeit dieser sonst nicht sehr glaubwürdigen Aufführung gesorgt, so selbstverständlich, wie ich dagesessen sei, müsse erst einmal einer dasitzen, manche Schauspieler brächten das nach einem ganzen Berufsleben nicht zustande, und ein halbes Jahr später besuchte er mich auf seiner Europareise, um mich nicht lange danach aus purer Extravaganz, wie mir schien, für die Rolle von Theodore Durrant in seinem Film über Maud Allan zu engagieren, die berühmte Salome-Tänzerin Anfang des vergangenen Jahrhunderts.
In dessen Gestalt, der Gestalt ihres Bruders, hatte ich meinen Einstand in der Filmwelt ausgerechnet als irrer Frauenmörder, der seine beiden Opfer aufschlitzt und zerstückelt und die eine kaum mehr kenntlich in einer Bibliothek, die andere ausgelegt wie für eine anatomische Untersuchung im Glockenturm der zugehörigen Kirche deponiert. Dafür brauchte ich gar nicht viel zu tun, weil die Morde selbst ausgespart blieben. Ich musste nur in die Haut eines introvertierten Medizinstudenten schlüpfen, der jungen Mädchen nachstellt, und seine klägliche Not im Umgang mit ihnen zeigen, um dann verschlossen im Gerichtssal zu sitzen, verschlossen im Gefängnis und ebenso verschlossen zu seiner Hinrichtung zu gehen und noch einen letzten wütenden Blick in die Welt zu werfen, bevor ihm die Schlinge um den Hals gelegt wird.
Amerika hatte mir dennoch Glück gebracht, und die Vorstellung, nun zum ersten Mal gemeinsam mit Luzie dorthin zu fahren, war etwas ganz Neues für mich, ich bildete mir ein, ich könnte ihr das Land vor seinem Sündenfall zeigen, geradeso, als hätte es den im Singular gegeben, als folgte nicht einer auf den anderen und als existierten nicht trotzdem noch da und dort Flecken, die aufzusuchen sich lohnte, weil an manchen Orten noch nicht alles verspielt war. …

(S. 14-16)

© 2021 Carl Hanser Verlag, München

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