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Gerhard Roth: Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe.

LESEPROBE

Weiter vorne waren zwei große Zelte aufgestellt. Eine Motorsäge war gedämpft zu hören, und als Lilli näher trat, erkannte sie, dass zwei Afrikaner in einer improvisierten Werkstatt arbeiteten. Im anderen Zelt waren Fahrräder abgestellt.
Sie setzte sich wieder unter den Lindenbaum. Ab und zu hörte sie ein Hämmern und Gesprächsfetzen aus der Fahrradwerkstatt, ein kleiner, weißer Hund lief geschäftig aus und ein.
Endlich trat ein Mann mit rotem Polohemd, goldgerahmter Brille und einem blauen, zusammengedrückten Sonnenhut aus dem Hotel. Der Hut war außergewöhnlich hoch, sie schätzte ihn auf zwanzig Zentimeter und vermutete, dass der ältere Herr glatzköpfig war … Seine Frau, mit braungefärbtem Haar, folgte ihm verdrossen. Sie begannen allmählich mit gedämpften Stimmen zu streiten, blickten sich um und spazierten auf die Äcker zu, wo sie sich mit dem Rücken zu Lilli offenbar gestenreich Vorhaltungen machten.
Die Wirklichkeit, dachte Lilli, ist wesentlich komplizierter als jede Wissenschaft und jede Religion. Niemand kennt sich in ihr tatsächlich aus. Alles sind immer nur Deutungsversuche. Sie hatte ihre beiden Hirnhälften immer als Labyrinthe betrachtet, in denen die Gedanken herumirrten, und sie kam sich vor wie hineingeboren in den Irrgarten der Wirklichkeit; die keiner verstand … Mit einem Mosaiksteinchen in der Hand konnte sie, war ihr klar, nicht auf den gesamten Markusdom schließen. Aber sie konnte auch sonst nie das "Gesamte" erfassen. Sie war wie ein winziges Insekt, das sich in einem mächtigen Gebäude verirrt hatte. Aus einem gelösten Rätsel entstand immer ein weiteres. Die Wirklichkeit erschien ihr wie eine vielköpfige Hydra. Schlug man der mythologischen Figur einen Kopf ab, entstanden zwei neue.

(S. 153f.)

© 2021 S. Fischer, Frankfurt/Main

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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