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Sabine Schönfellner: Draußen ist weit.

Leseprobe

Frau Leitner erzählte zu viel. Sie wartete an der Wohnungstür auf mich, zog sie vor mir auf, machte mühselige Schritte nach hinten und begann dabei schon zu erzählen. Meist etwas, was ihr an diesem Tag passiert oder zumindest beinahe passiert war. Oft hatte es mit der Frau vom Hilfsdienst, wie sie sie nannte, zu tun, die etwas falsch gemacht hatte, einen Sessel an den falschen Platz zurückgestellt oder die Pillen in der falschen Reihenfolge in das Wochenschächtelchen eingefüllt. Ich hatte die Frau noch nie gesehen, wusste nur, dass sie so wortkarg war, dass Frau Leitner am Anfang nicht sicher gewesen war, ob sie überhaupt Deutsch sprach. Ich stellte sie mir als junge, etwas dickere Frau vor, die schwarzen Haare in einem praktischen Kurzhaarschnitt, mit kräftigen Armen, um Frau Leitner über den Badewannenrand heben zu können. Flicken und nähen, das gehöre zu den Sachen, die sie gelernt habe und die niemanden mehr interessierten. Sie schob die Zuckerdose von der Tischmitte näher zu mir. Von einem Mädchen sei erwartet worden, dass es das konnte, Nähen und Flicken, genauso wie Einkochen. Das sollte einen auf später vorbereiten, auf die Heirat, weil die Leute davon ausgingen, dass jedes Mädchen das konnte. Da wurde nicht lange gefragt, das war eine Schande, wenn man das nicht konnte. Und das, obwohl viele nie geheiratet hatten, sie selbst auch nicht. Ihre Schwester zwar schon, aber die hatte das nie richtig gekonnt, das Flicken. Der war der Stoff schon immer gerissen, wenn sie ihn nur schief angeschaut hatte. Das war vielleicht übertrieben, aber geschickt war die nie gewesen.

Schon die Dame beim Besuchsdienst hatte mir gesagt: »Frau Leitner erzählt zu viel.« Dann hatte sie sich entschuldigt, weil sie nicht schlecht über die alte Frau reden wollte, die habe ihre Sorgen, aber sie sei etwas mühsam und sehr gesprächig. Der letzte Freiwillige hatte schon nach wenigen Wochen aufgegeben und darum gebeten, dass ihm jemand anderes zugeteilt werde. Als ich zum Kennenlernen vorbeigekommen war, hatte sie mir zuerst von den Tauben erzählt, die die halbe Nacht auf ihrem Fensterbrett gesessen seien und über das Blech gekratzt hätten, sodass sie kein Auge zugemacht habe, und dann davon, dass ihre Schwester vor ein paar Wochen gestorben sei und sie nun gar niemanden mehr habe.

(S. 61-62)

© Literaturverlag Droschl, 2021

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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