Leseprobe:
Das Lächeln übe ich, damit ich während Julius' Rede positiv bestärkend und wissend mitnicken kann und damit es als visuelles Highlight meinen aufrichtigen Applaus unterstreicht. Das Lachen hingegen übe ich, damit ich ganz authentisch auf einen von Julius' Witzen reagieren kann, die er gerne zur Auflockerung in seine Reden einstreut – eines seiner Markenzeichen. Damit es so rüberkommt, als würde ich gar nicht darauf achten, wie es rüberkommt. »Ach du!«, sage ich zum Rückspiegel. »Hahaha, ach du!«
Ich schaue über die Schulter, schere aus, beschleunige, überhole den LKW vor mir, setze den Blinker, reihe mich wieder in die rechte Spur ein, als der LKW vollständig im Rückspiegel zu sehen ist, und schließe meinen Mund gerade noch rechtzeitig, um natürlich zu wirken. Ich erzähle dem Gesicht im Spiegel etwas Lustiges und tue so, als fände ich es lustig. Es ist ja auch lustig. Aber ich muss darauf achten, dass man mir auch anmerkt, dass ich es lustig finde. Sonst glaubt Julius, dass ich es gar nicht lustig gefunden hätte. Sonst glaubt er, dass mit mir irgendwas nicht stimmt. Was ist mit dem? Warum bewegt er sich so komisch? Vielleicht ist er betrunken. Vielleicht ist er ortsunkundig. Der Kopf muss immer so mitgehen. Die Stimme ein bisschen rauf, nicht zu viel. Der Kopf so rauf und hin und her. Die Haare dabei ein bisschen in die Stirn fallen lassen. Die Stimme kann sich schon auch überschlagen, muss sie aber nicht. Die Arme können leicht mitschwingen.
© 2021, Zsolnay Verlag, Wien.