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Teresa Präauer: Das Glück ist eine Bohne und andere Geschichten.

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Göttingen: Wallstein, 2021.
312 Seiten; Euro 24,70.
ISBN 978-3-8353-3948-4.

Teresa Präauer

Rezension

Leseprobe:
Eine Geschichte von David und Aiko

Ein Foto aus dem Jahr 2014, es ist exakt Mitte April, zeigt meinen Blick in den Garten im Salzburger Land: Die grüne Wiese ist noch einmal von Schnee bedeckt, aber nur so viel, dass es aussieht, als lägen weiße Blüten darüber verstreut. Und dort, weiter oben, blühen sie ja auch wirklich, die Blüten auf den Bäumen, weiß wie Schneeflocken! "Eine Schneeflocken-Obstbaumblüten-Unentschiedenheit" betitelte ich dieses Foto damals für mich.
Und hier ein ganz anderes Foto, nicht aus meinem privaten Album, sondern aus dem Internet: Unter einem blühenden Kirschbaum stehen David und Aiko. Es ist das Jahr 2019, und die beiden haben geheiratet. Aiko trägt ein traditionelles japanisches Kostüm in leuchtenden Farben, Rot, Gelb, Orange, Violett, Grün und Weiß, sogar ein wenig Blau findet sich im Muster des Stoffes, Blüten auch hier. David trägt einen dunkelblauen Kimono und sieht darin nicht mehr ganz so wie ein Europäer aus dem Salzburger Land aus. Die Wiese ist grün, der Himmel ist blau, kein Schnee ist in Sicht. Der Frühling in Japan, der mit der Kirschblüte dort alljährlich seinen feierlichen Höhepunkt findet, zeige im raschen Verblühen eben auch seine Vergänglichkeit, sagt David. Und daraus schließe er, dass man sein Glück beim Schopf packen müsse, wenn es leibhaftig vor einem stehe. Ihren schwarzen Haarschopf hat Aiko auf dem Hochzeitsfoto zu einem Knoten hochgesteckt, im Nacken gehalten wird er von lilafarbenen und weißen Blüten. Einen kleinen roten Sonnenschirm hält sie in der Hand, und sie lacht, als hätte ihr David soeben etwas Lustiges über Blüten und Bienen ins Ohr geflüstert.
David sagt, er habe sich in Aiko verliebt, als er gesehen habe, wie sie Reisbälle formte. Als David davon erzählt, leuchten seine Augen, und er macht mit erhobenen Händen Bewegungen, die aussehen, als würde er gerade selbst aus der Luft Reisbälle formen und diese jonglieren. Vielleicht habe ich das luftige Jonglieren der Reisbälle aber auch dazuphantasiert, als ich David beim lebhaften Nacherzählen seiner Liebesgeschichte zuhörte, deren Fortgang ich über längere Zeit zuerst einmal nur in Form von Fotos und kleinen Statusmeldungen im Internet mitverfolgt habe.
David kann vermutlich auch echte Reisbälle formen, denn er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Waste Cooking: Er sammelt die Zutaten für die Zubereitung seiner Speisen dort, wo andere sie wegwerfen. Nicht weil sie ungenießbar geworden wären, sondern weil die Waren das ausgewiesene Ablaufdatum bereits überschritten haben, weil zu viel eingekauft worden ist oder weil das Wissen über die Lagerung und Verwertung von Lebensmitteln nicht oder nicht mehr vorhanden ist. Als David im Herbst 2017 für zwei, drei Wochen nach Japan reist, um seinen Film über Waste Cooking, das Kochen von vermeintlichen Abfallprodukten, und über Zero Waste, das Vermeiden von Müll, zu bewerben, lädt Aiko ihn ein, auch in ihrem Dorf seine Arbeit zu präsentieren. Aiko ist studierte Psychologin und Ethnologin, sie betreibt Feldforschung in einem ländlichen Gebiet mit bäuerlichen Strukturen im Süden Japans, und sie entscheidet sich, Davids Film in ihrem Film-Club zu zeigen. Unter anderem, sagt David, weil es gerade ein Half-Prize-Angebot für die Filmvorführung gegeben habe. Aiko plant eben nachhaltig, und David reist an.
Der Dichter H. C. Artmann hat einmal eine Sammlung von "österreichischen Haiku" zusammengestellt. Auch er macht sich darin Gedanken über die mögliche Verwandtschaft von sehr unterschiedlichen Blüten: "kartoffelblüten / und verregneter jasmin / sind sie geschwister?" Das Aufgreifen der strengen Gedichtform des Haiku und ein Interpretieren derselben in der westlichen Literatur bringt wohl beides mit sich, Kartoffelblüten und Jasmin, Missverständnis und Verstehen-Wollen. Die humorvolle Lust am Produzieren, am Lesen und Schreiben – bei gleichzeitiger Anerkennung der Tatsache, dass sich nicht einmal die Versform selbst vom Japanischen ins Deutsche übertragen lässt, da man schon am kaum vergleichbaren System des Silbenzählens scheitern muss – treibt herrlich-farbenfrohe Blüten. Mit Blick auf den Untersberg in Salzburg hat H. C. Artmann seine pseudo-japanischen und sehr witzigen kleinen Betrachtungen geschrieben, die uns beim Wiederlesen durch seinen Garten führen im Lauf der Jahreszeiten: "hier dringt der flieder / schon welk aus einer knospe / kein wort von lila." Es wird langsam Sommer, da wie dort.
Drei Monate nach ihrem Kennenlernen beschließen David und Aiko zu heiraten. Er sei wohl ein "half prize husband", scherzt David, so als sei er mit seinem Film gleichsam als günstiges Angebot mitgeliefert worden. Zuerst, im Jahr 2018, wurde dann in Salzburg Hochzeit gefeiert, danach, Ende März 2019, in Koge. Das musst du dir, sagt David, als Dorf so groß wie Hüttschlag vorstellen. Und dazu zweihundert Leute auf einer Art Bauernhochzeit mit Shinto-Schrein und Feuerwerk! Tagelang habe er vorher das Eheversprechen auf Japanisch einstudiert, bis er vor lauter Sprachklang beinah vergessen habe, was es inhaltlich im Einzelnen bedeute. Als ich mit David Anfang April dieses Jahres über Skype videotelefoniere, befindet er sich bereits in Salzburg in zweiwöchiger häuslicher Quarantäne. Es ist der Tag, an dem sich sein Eheversprechen auf Japanisch zum ersten Mal jährte. Und David sagt, er wisse nun, was das bedeute, so etwas wie: "in guten wie in schlechten Zeiten". Er verstehe, was er damals auf Japanisch gesagt und versprochen habe. Er spüre, was die unfreiwillige Trennung zweier Liebender bedeute in Zeiten der Pandemie.

[…]

Ich habe David nicht gefragt, wie sich Zuversicht und Zweifel bei ihm und bei Aiko die Waage halten. Aber ich könnte mir vorstellen, die beiden hegen und pflegen, wie ich in diesen Wochen in diesem Frühjahr, auch diesbezüglich eine "Schneeflocken-Obstbaumblüten-Unentschiedenheit".

(S. 271–275)

© 2021 Wallstein Verlag, Göttingen

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