Leseprobe:
Nun sitze ich in meiner neuen Wohnung, auf einem neuen Berliner Sessel aus Eichenholz, den ich mir online bestellt habe, ohne zu merken, dass er aus Berlin kam, denn eigentlich sieht er wie ein Wiener Sessel aus. Die Wohnung liegt in einem alten Haus, es könnte aus dem Mittelalter sein, man erahnt noch die Dunkelheit der Nöte. Kälte und Feuchtigkeit muss ich den dicken Wänden erst austreiben. Dem Gebäude sitzt die Pest in den Mauern und jetzt zieht eine neue Seuche ein, auch wenn die Bewohner noch versuchen, sie über zwei Tore hinweg hinauszusperren. Sperr zu, Flut, knurr, weg da, sperr weg, raus, aus hau raus, ab! Es ist ein Montaigne-Haus, ich spüre mit einem Mal den Geist seiner Zeit und das in meinem Zimmer! Beseelt lehne ich mich zurück. Hier hat schon einmal jemand seine Fäden gesponnen, und jetzt spinne ich, ich ziehe sie aus mir heraus, ich spinne wild, webe.
(S. 11)
© Frankfurter Verlagsanstalt, 2021