Leseprobe:
Unter der Dusche hält er die Luft an, so lange es geht. Anschließend atmet er gierig ein. Er saugt die letzten Reste von Susannes Duft an seiner Körpermitte ein, bevor er das Wasser voll aufdreht, sein Gesicht hineinhält und laut prustet.
Ende Oktober rollte sein Zug im Schritttempo durch die Vorgärten einer Stadt. Es war noch einmal richtig warm geworden. Auf einer Wiese saß ein Mädchen in einem Planschbecken und klatschte mit flachen Händen auf das Wasser. Das Wasser spritzte hoch über den Kinderkopf. Das Kind kniff die Augen zusammen und prustete. Im Garten daneben stand eine alte Frau tief gebückt in einem Beet. Ihre Kittelschürze war hinten hochgerutscht und legte üppige Schenkel bloß. Beim Aufrichten kniff die Frau die Augen zusammen und prustete vor Anstrengung oder vor Erleichterung, dass die Anstrengung gelungen war.
Er wäre gern ausgestiegen und hiergeblieben. Er konnte sich im Moment nichts Schöneres vorstellen, als zwischen Gemüsebeet, geblümter Kittelschürze und Planschbecken den Rest seines Lebens zu verbringen. Der Zug nahm wieder Fahrt auf. Je weiter er die Gärten hinter sich ließ, desto nagender wurde die Sehnsucht. Es war die Sehnsucht nach dem perfekten Stillleben wie in Mattis alten Wimmelbüchern, wo nichts die Harmonie auf der buntbedruckten Pappe stört. Keine Worte. Und schon gar keine Bewegung.
(S. 77 f)
© 2021, Braumüller Verlag, Wien