Leseprobe – Kapitel 38
- Ich werd ihnen zeigen, dass ich keine Schwuchtel bin!, sagte Oskar so entschlossen, wie er es eigentlich nie war.
Mittwochabend sollte die Party im Betonturm sein. Am Dienstag machten wir mit dem Buchsteiner einen Ausflug in den Wald. Gegen Mittag wurde es richtig warm und alle schwitzten. Aber es gab zwei, die noch mehr schwitzten als der Rest. Joni unter seinen beiden Verbänden und Oskar unter seiner Mütze. Zum Glück sah der Buchsteiner bald selbst aus, als wäre er in Wasser getunkt worden, und wir machten eine Pause.
Auf einer Lichtung lag ein Baumstamm quer, Oskar und ich setzten uns darauf. Erschöpft ließen sich auch Stefan, Anna und Laura auf dem Baumstamm nieder. Jonis Haare klebten ihm auf der Stirn und es gefiel ihm nicht, dass er keine Kontrolle über seine Schweißproduktion hatte. Er brauchte immer die Kontrolle.
- Wollt ihr euch wirklich dort hinsetzen?, sah er die Mädels und Stefan an. Sie schauten fragend zurück.
- Neben der Schwuchtel, Mann, Stefan, ich wär da echt vorsichtig. Wenn du einmal nicht aufpasst, haben sie dich, die Schwuletten.
Stefan erhob sich angewidert.
- Schaut, wie der Eierkopf schwitzt, lachte Joni. Riecht mal an ihm, sagte er zu Laura und Anna. Ich hab gehört, Schwule riechen immer nach Seife.
Kichernd standen die Mädchen auf.
So saßen nur Oskar und ich auf dem Baumstamm. Alle anderen standen, jeder wäre gerne gesessen, ich sah es. Aber alle standen herum oder setzten sich auf den Waldboden mit den vielen Wurzeln. Auf dem langen Stamm nur zwei kleine Spatzen.
- Ich werd ihnen zeigen, dass ich keine Schwuchtel bin!, sagte Oskar ein zweites Mal, mit rotem Kopf und verschwitzt, später im Zimmer, mehr zu sich selbst als zu mir. Ich fragte ihn nicht, wie er das machen wollte.
Ich hatte andere Gedanken. Morgen war die Party, dann würde ich Lotte wieder sehen und ich würde sie fragen, ob sie mich im Sommer besuchen kam.
In der lauen Mittwochnacht lagen verheißungsvoll die großen Ereignisse, die der Abend bringen sollte. Ich würde mich bei Lotte entschuldigen, falls ich etwas falsch gemacht hatte, und Oskars Selbstmitleid ertragen, ohne genervt zu sein.
Es mochte von außen wie eine heruntergekommene Party in einem Betonturm aussehen, aber für uns war es viel mehr. Ein Abschluss. Der Abschluss unseres ersten Jahres auf Grünholz. Die Spatzen verließen ihre Nester.
Wir hatten uns mit Benni und Bernhard verabredet. Ungleich wie ein Stift und sein Stöpsel standen ihre Schemen schwarz in der Nacht.
- Endlich, sagte der lange Bernhard.
Sogar sie hatten versucht, sich herzurichten. Bennis oranges Haar war auf eine Seite gekämmt und Bernhard hatte seine langen Haare immerhin gewaschen. Ein scharfer Deo-Geruch biss in die Nachtluft.
Der Turm war bereits voll. Ein Betrunkener stand am Eingang und kassierte zehn Euro von jedem, der hinein wollte. Als wir ihm das Geld gaben, bedankte er sich nicht.
- Spucke oder Anlauf, und rein damit, sagte er und spuckte aus.
Wir traten in den Turm. Es fühlte sich an wie eine Nacht, in der alles passieren könnte.
(S. 153-155)
© 2021, edition keiper, Graz