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Roland Grohs: Joe baut ein Meer.

Leseprobe:

"Ein Meer, Joe. So was Blödes habe ich ja noch nie gehört. Wie lange wird das wohl gehen? Das ist doch keine Arbeit. Machst du dir eigentlich niemals Gedanken?"
"Wäre dir leichter, wenn ich mir ständig welche machen würde?" Marta hatte ein Talent, seine gute Stimmung zu zerschlagen.
"Keine Ahnung", gab sie zurück.
"Ist ja kaum abzuschätzen, wohin das führen würde."
Marta erklärte, sie müsse noch schnell fünf Hefte korrigieren. Dann könnten sie ein Glas Wein trinken. Sie hätte es bitter nötig.
Joe schlenderte in den Wintergarten. Er wollte sich mit Ferdinand unterhalten, um sich die Zeit zu vertreiben. Der Käfig war geöffnet. Daneben stand eine hüfthohe Yukkapalme, daran knabberte der Vogel genüßlich.
Joe pflanzte sich auf den weißen Lesesessel, während Ferdinand zu ihm aufsah.
"Weißt du, was ich mich schon immer fragte?", begann er. "Wieso heißen Schwachsinnige eigentlich immer Kevin? Ich meine, das kann doch kein Zufall sein, oder?"
"Kevin! Kevin!", wiederholte Ferdinand.
"Schon gut. Ist auch nicht so wichtig. He, denkst du, ich sollte mir einen Bart wachsen lassen? Wäre doch genau die passende Zeit. Ein bisschen Pelz, um mich warum zu halten. Ich glaube, damit würde ich richtig cool aussehen."
"Pelz?"
"Ja, was meinst du? Bist du ein modischer Bursche: hübsche Federn, markanter Schnabel. Sogar recht attraktiv – für einen Vogel."
"Schnabel! Schnabel!"
Joe trat an die Scheibe und beobachtete, wie die Sonne langsam hinter dem Berg versank.
"Hm, echt schade, dass du mich nicht verstehst. Wäre spannend zu wissen, was in deinem Köpfchen so vorgeht. Wahrscheinlich hältst du mich für einen Dummkopf, weil ich überhaupt mit dir rede."
"Dummkopf! Dummkopf! Dummkopf!"
Joe debattierte noch etwa zehn weitere Minuten mit Ferdinand. Sie sprachen über das Leben und über die Zukunft. Aber einmal mehr erwies sich der Papagei als bescheidener Philosoph und miserabler Prophet. Anschließend genehmigte er sich mit Marta ein Glas Rotwein. Dann hatten sie Sex. Als sie fertig waren, verabschiedete sich Joe, der es meist vermied, bei ihr zu übernachten.
"Wieso flüchtest du eigentlich immer?" Marta nahm seinen Drang nach Distanz wieder einmal viel zu persönlich.
"Mir ist zu warm. Immer wenn ich das Fenster öffne, regst du dich auf. Ich kann so nicht schlafen."
"Es ist Oktober! Ich sorge nur dafür, dass wir auch wieder aufwachen."
"Tja – ich bin ein Mann, der die Kälte liebt."
"Du bist wie einer dieser exzentrischen Popstars – nur völlig erfolglos. Aber fahr ruhig." Sie drückte ihm seine Jacke in die Hand. "Ich hab sowieso noch etwas zu tun."
Joe konnte das schlechte Gewissen nicht ganz ausblenden, als er in seinen Wagen stieg. Aber ein Mann brauchte eben manchmal seine Privatsphäre.
Er fuhr durch die trübe Nacht. Seine Frontlichter waren nicht mehr die besten, darum beugte er sich über das Lenkrad wie eine japanische Oma. Kurz vor seiner Siedlung fiel ihm eine kleine Menschenansammlung auf. Die Leute hatten sich trotz der Kälte auf dem grob gepflasterten Platz an der Südseite des Orts versammelt. Dahinter lag der aufgelassene Bahnhof der Schmalspurbahn mit den bunten Graffitiwänden.
Joe ließ den Wagen stehen. Er wollte sich das Spektakel genauer ansehen. Glühend rote Backen wirbelten hoch. Joe streckte sich über fremde Schultern. Eine Straßenkünstlerin. Sie tanzte in der Luft. Balancierte über ein dünnes Seil und schwang ihre Feuerstäbe. Wache Augen, wie eine Landkarte. Jung. Vermutlich Anfang zwanzig. Sie lächelte. Aber dieses Lächeln galt niemandem im Besonderen. Was hatten Menschen wie sie nur an sich? Einen Hauch von Abenteuer. Nie lange an einem Ort. Ein wundersames Leben. Ein Leben im Augenblick. Sie lächelte von innen, dachte Joe, und die Welt jenseits ihres Seins konnte ihr nichts anhaben.
Die Zuseher applaudierten. Manche warfen Geld in eine Schachtel und gingen weiter, andere verharrten noch eine Weile. Joe sah zu, wie die einsame Tänzerin von ihrem Seil stieg. Er wagte nicht sie anzusprechen.

(S. 48 – 50)

© 2021 Edition Meerauge im Verlag Johannes Heyn, Klagenfurt

 

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