Leseprobe:
Du stolzierst im Neonlicht. Mit weitem Blick nimmst du die Wege, die Hindernisse, die enormen und die geringsten Bewegungen wahr. Es scheint dir, als stöben deine Knochen auseinander wie in einem luftleeren Raum, kein Druck hält deinen Körper zusammen. Die Wangen locker, der Kiefer fällt, dein Mund klappt beinahe auf. Die Schultern liegen am Brustkorb. Du fühlst die Oberschenkelmuskelfasern, trittst in sicheren Schritten auf breiten Sohlen.
Die Fäuste lösen sich und in den Fingern sammelt sich die Kraft. So gehst du zwischen den Greifarmen und Laufbändern, den Wägen und Gabelstaplern, den Kollegen und Kolleginnen an den Geräten und den Waren hindurch, die sich zu den perfekten Uhrzeiten an den vorgesehenen Stellen im System befinden. Du bist überzeugt, dass dich jeder sieht, dass du auffällst. An deiner pfeilgeraden Wirbelsäule ist der kräftige Rest montiert, sie ist ein Gerüst für das perfekte Modell. Du fühlst ein Kraftfeld um dich, das wie ein Magnet Partikel anzieht und aufnimmt. Du dehnst dich aus. Du bist eine Sonne, die es schafft, aus voller Kraft zu strahlen. Ausatmen und vertrauen, dass der nächste Atemzug kommen wird, von selbst. Das ist dein Raum. Der Raum ist Teil von dir. Das ist dein Körper. Dein Körper gehört zur Maschine. Du empfindest deine Struktur darin deutlich. Die Maschine arbeitet, Tag für Tag. Und dennoch, was ist das? Du fühlst einen zusätzlichen Herzschlag, aus dem Takt.
Listen schieben dich durchs Leben, Zahlen laufen aus der stotternden Druckermaschine, Bestellscheine fahren entlang ihrer Perforierungen durch die Räder, Tabellen, schwarze Schrift. Die Scannercodes zeigen, was geholt, was eingelagert, was nachbestellt werden muss, welche Plätze voll, welche Plätze frei sind. Das System des Warenlagers leistet viel, es läuft sieben Tage die Woche vierundzwanzig Stunden, es dirigiert die Lagerarbeiter. Doch seine Einzelteile setzen ständig unerwartet aus und müssen repariert werden. Eine kurze Störung und der gesamte Ablauf ist außer Kontrolle, aber ihr Arbeiter habt Ideen, wie dennoch der Betrieb in der Halle aufrecht bleibt, und am Ende fallen die Pakete immer reihenweise in die Container.
Vorsortiert wird noch in der Nachtschicht, damit die Leute der Tagschicht, wenn sie kommen, gleich wieder die Bänder befüllen können. Ihr entfernt Sperrgut aus den Rollcontainern, wuchtet sie durch die Hallen. Im Lärm macht ihr euch so verständlich wie möglich: »Tür zu!«, »Tür auf!«, »Zum Chef!«, »Paketrutsche, Stau!«.
Ihr versammelt euch um ein Fließband, werdet neu eingeteilt, denn das Laufband X2000 ersetzt die Arbeiter in Halle drei.
Ihr zählt die Sekunden und verliert die Tage. Das rote Licht des Scanners trifft den Barcode. Piep. Artikel eingelagert. Piep. Fehler. Nicht eingelagert. Piep. Wenn du auf die Displays schaust, wirken die Prozesse glatt.
(S. 9f)
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