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Leseprobe: Felix Mitterer - "Johanna oder Die Erfindung der Nation."

HERZOG VON BURGUND: Du weißt gar nicht, was du damit angerichtet hast. Es gibt keine Franzosen, Jeanne. Die Franzosen sind eine Erfindung von dir. Wir sind Lothringer und Bretonen und Gascogner, wir sind Burgunder, Luxemburger und Holländer, wir sind ein Staat mit vielen verschiedenen Völkern. Der größte König Englands war ein Normanne, Jeanne. Heinrich, unser wahrer König Heinrich, ist der erste Engländer auf Englands Thron. Was spielt es also für eine Rolle, ob einer Engländer ist oder Franzose oder Normanne oder Burgunder? Wir führen hier seit 100 Jahren Krieg, seit 100 Jahren, Jeanne. Und warum tun wir das? Weil sich plötzlich etwas in unseren Kopf gesetzt hat, wie eine Geschwulst, wie ein Geschwür, das uns vor Schmerz zu bösartigen Bestien werden lässt. Aber dieses Geschwür hatte bis jetzt keinen Namen, wir wussten es einfach nicht zu benennen, wir haben nur blindlings drauflosgeschlagen. Und nun trittst du auf - Jeanne, die Jungfrau, die Unschuldige, die Tochter Gottes, und benennst uns dieses bösartige Geschür, erklärst es aber zu etwas Gutem, zu etwas Gesundem, zu einem natürlichen Bestandteil unseres Gehirns, gibst ihm kraft deiner Persönlichkeit Schönheit, Würde und Ansehen, gibst ihm den Namen, den wir seit 100 Jahren gesucht haben, um eine moralische Rechtfertigung für unsere Untaten zu haben.
JEANNE: Wie lautet dieser Name, Herzog?
HERZOG VON BURGUND: Nation. Nation, Jeanne.
JEANNE: (verzweifelt) Ich kenne dieses Wort gar nicht! Herzog, ich verstehe Sie nicht! Was wollen Sie mir sagen?
HERZOG VON BURGUND: Ich will dir sagen, dass du etwas Verhängnisvolles getan hast. Du hast Gefühle im Volk erweckt, die man lieber nicht hätte erwecken sollen. Es gab bisher keine Fremden. Weil es keine Nation gab.
(S 70f.)

© 2002, Haymon Verlag, Innsbruck.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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