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Ich fing also an, Französisch zu lernen, nachdem ich schon in der Schule vier Jahre lang Französisch nicht wirklich gelernt, aber immerhin betrieben hatte, oder wie soll man diese Art von Nichtlernen nennen, die zumindest bei mir doch eine Art von Lernen beinhaltet hatte, weswegen ich es beim Aufnahmetest ins Institut immerhin aufs Niveau 2 schaffte (von drei möglichen)? Der Unterricht war, wie sollte es anders sein in God's Own Country, so lala. Das Institut fühlte sich als Uni, führte sich auf wie eine Schule und war de facto Zeitvertreib für ein paar verwöhnte Fratzen, deren Eltern genug Geld hatten, oder ältere Spinner, die einem Jugendtraum spät noch etwas Substanz verliehen wollten, wie meine Wenigkeit oder Kasumitsu, der Japaner, der mit mir im selben Kurs bei Mme Deswartes saß und sich eines Tages vermaß, anderer Meinung zu sein als die Lehrerin. Es ging um das Wort für Tintenfisch, sie sagte calmar dafür, er hatte in seinem Wörterbuch dasselbe, aber mit einem a mehr gefunden: calamar. So sagte er dann auch, leise, aber sehr vernehmlich, ohne von seinem Wörterbuch aufzuschauen, immer von Neuem das selbe Wort, calamar, bis sie es endlich merkte und die Debatte, die allmählich heftiger wurde, Kasumitsu stieg nämlich von seinem zusätzlichen a nicht herunter, mit der Bemerkung beendete, sie sei die Lehrerin und überdies die Muttersprachlerin von ihnen beiden, ergo im Recht, und er habe nun endlich gefälligst den Mund zu halten. Kasumitsu war sogar älter als ich, fünfunddreißig oder so, und hatte sich das Geld für dieses Auslandsjahr recht mühsam von seinem Gehalt als Parfümverkäufer abgespart. Der Herr, bei dem wir das Übersetzen übten, war gleichfalls einer, der immer Recht hatte, unter anderem führte er einen hartnäckigen Kampf gegen umgangssprachliche Wendungen aller Art wie quelque chose comme ca, die man tausend Mal auf der Straße hören konnte, wenn man Ohren hatte. Wie rechthaberisch und borniert er immer sein mochte, wir lernten doch eine Menge bei ihm. Als Erstes in der ersten Stunde zum Beispiel, was Wer hat aus meiner Tasse getrunken? auf Französisch heißt. Diese Wendung wurde in Anfängerkreisen so gut wie immer falsch übersetzt.
Die Kletterverletzungen vergingen so nach und nach, ich konnte wieder richtig gehen, nämlich gehen einfach so, ohne dass gleich alles wehtat. Legte ich längere Strecken zurück, spürte ich den Knöchel allerdings gleich wieder, als vorderhand sehr dominante, Aufmerksamkeit auf sich ziehende Körperpartie. Der erste Gang zum Waschsalon signalisierte: Jetzt gehörst du dazu, zu dem Hiesigen hier, jedenfalls am äußersten Rand, von dem du versuchen könntest, dich allmählich in Richtung Mitte zu arbeiten, für den Rest deines Lebens. Wer tut das schon ohne Not? Aber man denkt drüber nach, denken ist vielleicht zu viel gesagt. Man sitzt halt da und starrt in den Wäschetrockner, ob er bereits seines letzten Decrescendo-Umdrehungen macht, und zugleich schaut man um sich, wer sonst noch aller seine schmutzige Wäsche hier sauberzukriegen versucht. Alles solche windigen Einwohner wie ich, sonst hätten sie selber eine Waschmaschine. Die Platanen ließen ihre vielen Blätter falle, ganze Dünen deckten über Nacht die Gehsteige, und dann fuhr der Mistral hinein und trieb sie vor sich her durch die Straßen.
S. 110f.
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