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Die Stimme, wie lange spricht sie schon? Sie kommt aus dem dunklen, mit gerippten Plastikknöpfen bestückten Kasten, der zwischen den zwei hohen Buchregalen steht und ein quer laufendes, grünlich leuchtendes Band hat. Wenn die Mutter die Tuchenten ausklopft, setzt sie mich im Wohnzimmer auf den Boden. Ich hämmere auf Holzstücke, die ich aus der Matador-Kiste geleert habe, und während ich versuche, Bauklötze mit Stäbchen so zusammenzustecken, dass sie einer Figur oder einem Gebäude gleichen, höre ich diese körperlose Stimme. Gesucht wird der Gefreite Matthäus Ploderer, Angehöriger der 44 Infanteriedivision, zum letzten Mal gesehen im Jänner 1948 in Pitomnik. Ich werfe die Klötze in die Ecke und gehe zum Fenster, vor dem die Schneeflocken wirbeln. Über die Wiesen ist eine weiße Decke gebreitet, erst im Frühling nimmt die Siedlung wieder Farbe an, im Sommer fahren wir mit dem Bus ins Volksgartenbad, bis wir müde sind von der Sonne und vom Lärm der anderen. Im Herbst verschwinden die beiden Schwestern in der Schule und der Bruder im Kindergarten, ich spiele jetzt mit bunten Lego-Steinen aus Plastik, die mir so wenig Freude bereiten wie das Spielzeug aus Holz. Verdrossen schaue ich zum Fenster hinaus und bemerke, dass es wieder zu schneien begonnen hat, und noch immer ist die Litanei unbekannter Namen, fremder Orte, zerschlagener Divisionen nicht verstummt. Allein mit der volltönenden Stimme, werde ich mir meiner Anwesenheit im Raum bewusst, und der empörenden Tatsache, dass ich allein bin. Der Raum ist unser Wohnzimmer, aber er ist unendlich groß, er reicht bis zur Narva, das Schlachtfeld von Charkow hat Platz darin, die Sümpfe des Donezk. Dies ist eine meiner frühesten Erinnerungen, die Stimme, die heute nur in mir noch existiert, weil der Mann aus dem Radio längst tot und im Äther verrauscht ist, was er sagte, diese Stimme, die keinem Anwesenden gehörte und nach zahllosen Abwesenden fragte: sie war es, die in mir das Bewusstsein meiner selbst geweckt hat.
S. 7f.
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