Heinrich schaltete den Fernseher und Teletext ein. Die erste Nachricht behandelte einen ausländischen Staatsbesuch. Die zweite berichtete von einem Mord an zwei Kindern, der in der Weststeiermark verübt worden war. Man schrieb von einem grauenhaften Verbrechen. Groß angelegte Fahndung >>Es wird gegen einen etwa 30jährigen, mittelgroßen Mann ermittelt, der 2 7 u. 8 Jahre alte Kinder gezwungen hat, sich durch einen Sprung von einem hohen Baum zu töten, und diese Taten mit einer Videokamera aufgenommen hat. Ein dritter Bub, der 9jährige Bruder der beiden ums Leben gekommenen Kinder, hat entfliehen können. Es gibt fieberhafte Ermittlungen. Heinrich forderte die wieder eingetretenen Frauen auf, die Nachricht zu lesen. Eva schlug die Hände vors Gesicht. Meine Lebensgefährtin: So etwas Gräßliches habe sie noch nie gehört. Heinrich machte uns darauf aufmerksam, daß der im Bericht genannte Ort ganz in der Nähe liege. Er behauptete, von der betroffenen Familie, deren Oberhaupt Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr sei, schon gehört, evtl. in einer Gemeindezeitung das Foto des Vaters gesehen zu haben. Es wurde allgemein Überraschung darüber laut, daß jemand einen anderen Menschen zwingen könne, sich zu töten, und wie so etwas vor sich gehen könne. So dauerte es eine Weile, bis wir uns wieder unseren Karten zuwenden konnten. Dabei gewann ich ein wenig Geld, meine Lebensgefährtin verlor etwas, Eva gewann viel und Heinrich verlor viel. Wir aßen Chips und tranken Rotwein. Diesen holte Heinrich in Abständen aus dem Keller. Da der Keller nur von außerhalb des Hauses zu erreichen ist und es am Abend heftig zu regnen begonnen hatte, kehrte er jedesmal naß zurück. Dies gab zu Heiterkeit Anlaß. Nachdem wir einige Stunden gespielt hatten, räumte Eva um ca. 1.30 Uhr früh die Spielkarten zurück in die Schachtel. Bevor wir einer nach dem anderen ins Badezimmer gingen, um uns die Zähne zu putzen und das Gesicht zu waschen, schaltete Heinrich noch einmal Teletext ein, um etwaige neue Nachrichten über den Kindermord zu lesen. Es gab jedoch nichts Neues. Ich stieg hinter meiner Lebensgefährtin die Treppe zum ersten Stock hinauf, wo die Schlafräume liegen. Dabei gab ich acht, mit dem jeweils anderen Fuß als sie die hölzernen Stufen zu betreten. Am nächsten Morgen schien wieder die Sonne. Wir frühstückten am Holztisch. Zu ihm wurde ein Sonnenschirm gestellt. Die Stubenrauchs hatten ein üppiges Frühstück mit Salami, vielen Käsesorten, Eiern, Toast, Butter, Marmelade, Gebäck und Fruchtsäften zubereitet. Dafür zeigten wir uns durch Danksagungen und Lob erkenntlich. Hin und wieder trat der mit einem zu kleinen Hut und in einer blauen, schmutzigen Arbeitshose umherschlendernde Bauer vom Nachbarhaus zu uns. Er sprach über den in so großer Nähe geschehenen Mord an den Kindern. Er sagte, er kenne die Eltern der Kinder, und wer so etwas tue, gehöre weg. Dabei machte er die Gebärde des Aufhängens. Im übrigen sprach er viel zu laut, als sei einer der Anwesenden oder er selbst schwerhörig. Auch die Frau des Bauern kam herbei. Neben Heinrich setzte sie sich auf die Bank. Sie legte die Hände auf ihren mit einer gefleckten Schürze bedeckten Schoß und machte durch Kopfschütteln und Mimik deutlich, wie erschüttert sie war. Meine Lebensgefährtin, die das Frühstück schneller beendet hatte als ich, stand dabei ca. 2 m vom Tisch entfernt und schaute wortlos vor sich hin. Eva nickte der Bäuerin zu, um ihr zu verstehen zu geben, daß sie ihre Meinung teile. Es wurde geseufzt. Heinrich rollte einen Apfel über den tuchlosen Tisch und fragte, ob man schon mehr über den Täter wisse. Meine Lebensgefährtin sagte, ihr sei gar nicht wohl, und sie könne diese Nachrichten nicht ertragen. Heinrich riet ihr, die Ohren zu verstopfen, das sei alles Unsinn u. sie solle sich über den schönen Tag freuen.
© 2001, Volk & Welt, Berlin.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
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