Eine Frau mit weizenblondem Haar hält sich hinter einem Postkasten versteckt, welcher zunächst dem Portal eines kaum ebenerdigen Hauses angebracht ist – und zwar seitlich, sodass jeder, der aus dem kühlen Flur heraustritt, zuerst an die honigfarbene Klappe des Postkastens gerät, wohinter die Tinte aller Briefsteller auf ihre Zeichnung wartet; die Frau aber, die in dem rostroten Haus vielleicht zur Untermiete wohnt, weil sie bloß eine Küchenschürze um den Äquator gespannt hält, ihre Füße überdies in einem Paar zerrissener Pantoffel stecken, die auch dem geübtesten Ausflügler kein rechtes Fortkommen in Aussicht stellen, drückt ihre Wange an die dem Haustor abgewandte Seite des Papierspeichers – als wollte sie ihr Haupt, in dem noch Briefzeilen umgehen, darunter solche, die kein Auge je gesehen, dem Rascheln leerer Bögen zuführen, welche die verzagtesten unter den Schreibern durch den Schlitz geschoben haben. Aber die Anwohnerin bewahrt nur einen kühlen Kopf, wobei ihr hochtoupierter Schopf den Behälter um die Länge einiger verfilzter Büschel – sie färbt diese aschblond – überragt.
In der Tür, dicht an die Zarge des Portals geschmiegt, verharrt ein kaum zehnjähriger Knabe, und zwar so, dass sein unmerklich vorgebeugter Kopf in die Richtung des Postkastens blickt – wobei unklar bleibt, ob sein scharf geschorenes Köpfchen von dem Adressmöbel bloß auf die unbefangenste Weise Notiz nimmt, oder ihn im Gegenteil eine schüchterne Voreingenommenheit daran hindert, einen Brief, den er sich vielleicht vom Munde abgespart, durch den ihm zunächst gelegenen Schlitz zu schieben.
Der eckige Briefbehälter hindert den Jungen daran, die Frau ins Auge zu fassen, die sich ihrerseits so dicht an die gerippte Hauswand presst, dass ihr der Schweiß in Bächen über Stirn und Ohren läuft – wobei die Rinnsale auch Kondenswasser sein könnten, das über den Deich des Briefschlitzes getreten ist, die gefrorenen und von der Sonne aufgeheizten Tränen, die auf die Papiere sickern, oder die schweißnasse Mühe, die ein Fiskalbeamter auf die Reihung seiner Ziffern verwendet, nebst den vielen Betteleien und Abmahnungen, mit denen ein geneigter Geschäftssinn auf die Verflüssigung von feststehenden Kapitalien dringt, wozu das Phlegma des Knaben, der reglos unter dem Portalbogen ausharrt, den Grund gelegt hat – der blinzelnde Bub äugt über die scharf geschnittene Oberkante des Kastens, wiewohl es möglich ist, dass er ein paar aschene Strähnen im Dunstbad der Sonne sich regen sieht, weil das geringelte Haar der Frau dem Postkasten anliegt und von da ab in krausen Bögen in den Himmel wächst.
(S. 7f)
© Literaturverlag Droschl, Graz-Wien.